Killer
- Übersehene Alternativdiagnose, z.B.
- Exzitiertes Delir (insb. Fixierung in Bauchlage nach Notfallsedierung)
- Einnahme von Retard-Präparaten / große Tablettenanzahl
Red Flags
- EKG:
- QRS-Verbreiterung
- QTc >500ms
- maligne Rhythmusstörungen
- Laktaterhöhung
- Vigilanzminderung (v.a. progredient)
- Suizidgedanken/-äußerungen
Erste Schritte
- Eigenschutz bei Agitation (Abstand, Achtung vor spitzen Gegenständen)
- Atemweg prüfen und Atemwegsmanagement
- Kreislaufstabilisierung, z.B. PushDose Pressor bei Hypotonie
- EKG (QRS breit?, QTc >500ms? Rhythmusstörung?)
- BGA (Elektrolytstörung? pH? Anionenlücke?)
- Mögliche Maximaldosis abschätzen (z.B. gefundene Tablettenblister)
- Frühzeitiger Kontakt Giftnotruf (v.a. bei komplexen Intoxikationen)
- Basistherapie:
- Aktivkohle 50-100g po. (0,5-1g/kg) bei oraler Ingestion <1h, bei großen Mengen evtl. auch später (kontraindiziert bei Aspirationsgefahr - dann Gabe erst nach Atemwegssicherung, CAVE: kann Sicht bei Gastroskopie verunmöglichen!
- Therapie nach Toxidrom
- Antidot verfügbar/hilfreich?
Spezielle Therapien: Dialyse / Gastroskopie
- Dialyse sinnvoll? gut dialysierbar sind z.B. Toxischen Alkohole (Ethylenglykol, Methanol), Lithium, Salizylsäure / Salizylate, Valproinsäure, (Metformin: hier nicht zur Elimination, sondern zur Behandlung der schweren Azidose)
- ggf. Gastroskopie zur Bergung sinnvoll bei größeren Tablettenmengen (Bezoar-Bildung). Einzelfallentscheidung nach Rücksprache mit Giftnotruf
Bei Entscheidung für Gastroskopie keine Kohlegabe vor Endoskopie (sonst keine Sicht):- ASS (hier bereits ab 20-30 Tbl.), Quetiapin, Lithium, Carbamazepin
- Generell bei großer Tablettenanzahl (etwa ab 60 Tabletten)
- Andere, früher empfohlene Maßnahmen wie Magenspülung, Laxantien, forciertes Erbrechen haben keine/kaum Evidenz bei gleichzeitig hohem Gefahrenpotential!
Tipps
- Giftnotruf frühzeitig hinzuziehen!
- An mögliche Intoxikationen denken, v.a. bei:
- Unklarer Vigilanzminderung (insb. bei metabolischer Azidose mit vergrößerter Anionenlücke)
- Psychiatrische Vordiagnose, Suizidalität/V.a. Suizidalität
- „Bauchgefühl“ des Rettungsdienstes (Auffindesituation?)
- Plötzlicher Massenanfall von ähnlicher Symptomatik : Gemeinsame Speisen? CO? DD Chemiewaffen-Angriff/Terroranschlag: Dekontamination, Eigenschutz!
- Bei suizidaler Medikamentenintoxikation immer von Mischintoxikation ausgehen!
- Reanimation bei V.a. Intoxikation: Teils gutes Outcome trotz langer Reanimation. Intoxikation ist häufig reversibler Faktor: Abbruch gut überlegen. Evtl. ELCS/ECMO erwägen.
- Gute Möglichkeit der Überwachung der Atemfrequenz auch bei spontanatmenden Pat.: CO2-Messung via Kapnografie (z.B. "Kapno-Nasenbrille". Bei "Standard-Monitoring" mit EKG und SpO2 wird eine Apnoe / Bradypnoe deutlich später detektiert.
- Immer Alternativ- bzw. Begleitdiagnosen erwägen, insb. bei Pat. aus „Drogenmilieu“ (Vermeiden von Confirmation Bias z.B. „ist sicher wieder nur betrunken“).
- Insb. bei wohnungslosen Pat. vorschnelles Aufschneiden / Zerstören von Kleidung möglichst vermeiden (oder für Ersatz sorgen).
- Urin-Toxscreening: Häufige falsch-positive oder falsch-negative Befunde (bis 50%!)
- Kann bei Tagen bis mehreren Wochen zurückliegendem Konsum positiv sein
- Viele Substanzen sind nicht nachweisbar - falsch negative Befunde v.a. bei Benzodiazepinen und Opiaten.
- Daher (wenn überhaupt) nur als Teil eines Gesamtbildes einsetzen und interpretieren. Limitationen bedenken!
Falsch positive Befunde bei Urin-Toxscreening
Falsch Positive möglich bei (Auswahl):
- Amphetamine: Metformin, Promethazin
- Trizyklika: Quetiapin, Dimenhydrinat, Carbamazepin
- Benzodiazepine: Sertralin
- Cannabinoide: Ibuprofen, Naproxen
- Opiate: (häufig!) Naloxon, Quetiapin, Dimenhydrinat, Verapamil, Fluorchinolone
Fokus Präklinik
- Red Flags prüfen, Killer aktiv erwägen
- Plötzlicher Massenanfall von ähnlicher Symptomatik (z.B. Dyspnoe, Vigilanzminderung): Gemeinsame Speisen konsumiert? CO-Intoxikation?
- Mehrere Patient:innen im öffentlichem Raum: Chemiewaffen-Angriff/Terroranschlag erwägen! → Eigenschutz!
- CAVE bei Kleinkindern: Auch eine Tablette kann lebensgefährlich sein!
- Rücksprache Giftnotruf erwägen (ggf. auch auf Anfahrt!)
- Erste Schritte, insb.:
- Selbstschutz, Umgebung/Auffindesituation erfassen (SSSS / 4-S Schema)
- CAVE bei CO-Alarm: Feuerwehr!
- Blister / Substanzreste einpacken (optimal: „Maximaldosis“ berechnen)
- Toxidrom? (s. unten)
- Bei Reanimation: Prolongierte CPR erwägen (je nach Situation)
- Selbstschutz, Umgebung/Auffindesituation erfassen (SSSS / 4-S Schema)
- Spezifische Therapie fokussiert
- Opioid + kritischer Pat.: Naloxon 0,4-2mg langsam iv. (ggf. in.)
- Halluzinogen / Sympathomimetisch: Symptomatisch, ggf. Sedierung z.B. Midazolam 1-3mg iv.
- Cholinerg (Vigilanz↓, Schweiß, Bronchorrhoe): Atropin 3mg iv.; alle 5min Dosis verdoppeln bis zur Besserung
- Anticholinerg (Heiß,blind,verwirrt): Physostigmin 0,5-2mg langsam iv. (unter Monitoring)
- Trizyklika: Bei QRS-Verbreiterung NaBic 8,4% 1ml/kg iv., kein Flumazenil
- Rauchgase/Brandrauch + kritisch: Hydroxocobalamin 5g iv. KI (bei Reanimation 10g iv. KI)
- Transportziel je nach Zustand, meist kompetente Intensivmedizin sinnvoll
- Kritisch Krank / Schockig: Zentrum mit ECMO-Kapazität erwägen
Toxidrome
Pragmatische Einteilung von Intoxikationen nach klinischem Bild.
Toxidrome - Symptomatik
Toxidrom | Psyche / | Pupillen | Haut / | Atmung / | GI-Trakt / |
---|---|---|---|---|---|
Opioid | Somnolenz | Miosis | Normal | Bradypnoe bis Apnoe; | Hypoaktiv |
Sedativ- | Somnolenz bis Koma | Normal, | Normal | Bradypnoe bis Apnoe; | Unterschiedl. |
Halluzinogen | Verwirrung, | (Meist) Mydriasis, | Normal | Tachykardie (oft) | Unterschiedl. |
Sympatho | Agitation | (Meist) Mydriasis, evtl. Nystagmus | Warm, | Tachykardie, | Unterschiedl. |
Cholinerg | Verwirrung | Miosis | Schweißig, | Bronchorrhö, | Hyperaktiv, |
Anticholinerg | Verwirrung, | Mydriasis, | Trocken, | Tachykardie | Hypoaktiv, |
Opioid-Toxidrom
- Typ. Auslöser: Heroin und -analoga, Opioidhaltige Medikamente (inkl. Pflaster)
- Therapie: Naloxon 0,4-2mg iv. langsam geben und titrieren; notfalls auch intranasal (2mg) oder intramuskulär (1mg) möglich
- Praxistipp: Bei nicht hypoxisch / nicht kritischem Pat. Naloxon 0,4mg auf 10ml NaCl aufziehen, dann milliliterweise (0,04mg/ml) geben bis Atemfrequenz ca. 8-10/min. erreicht
- Ggf. initial zusätzl. Naloxon 0,4mg sc. (Depotwirkung)
- Bei längerer Überwachung ggf. Naloxon 1,2mg ad 500ml VEL, Tropfrate nach Atemfrequenz (Ziel-AF ca. 8-10/min.)
- CAVE bei Naloxon-Gabe: Opioide sind häufig deutlich länger wirksam als Naloxon → Erneute Naloxon-Gabe voraussichtlich notwendig, Überwachung!
+ Kann (massive) Entzugsymptomatik auslösen.
Sedativ-hypnotisches Toxidrom
- Typ. Auslöser: Alkohol, Barbiturate, Benzodiazepine, sedierende Drogen (z.B. Cannabis, GHB, GBL)
- Therapie: Supportiv, ggf. Atemwegssicherung
- Gesichert isolierte Benzodiazepin-Intoxikation: Flumazenil 0,5-1mg iv.
- Bei V.a. Mischintoxikation Flumazenil zurückhaltend, strenge Nutzen-Risiko-Abwägung (da Senkung der Krampfschwelle).
- Bei (möglicher) Alkohol(ko-)intoxikation: Thiamin 100mg iv.
- Gesichert isolierte Benzodiazepin-Intoxikation: Flumazenil 0,5-1mg iv.
Halluzinogenes Toxidrom
- Typ. Auslöser: "Designerdrogen" inkl. synthetischer Cannabinoide, Ketamin, LSD (-Derivate), Ecstasy (MDMA), psychotrope Pilze
- Therapie: Supportiv, „Talk Down“, Schaffung ruhiger Umgebung
- Ggf. Benzodiazepine bei Bedarf (z.B. Midazolam 1-3mg iv.)
- Insb. bei Mono-Intoxikation mit „klassischen“ Halluzinogenen (LSD, Pilze) in der Regel keine vitale Bedrohung. Jedoch häufig massiver psychischer Leidensdruck mit ausgeprägter Angst und Panik(-attacken) bis hin zu Agitation und Psychose.
Sympathomimetisches Toxidrom
- Typ. Auslöser: Amphetamine, Coffein, Kokain, Ecstasy (MDMA)
- Therapie: Supportiv: Volumengabe, Kühlung
- Benzodiazepine bei Agitation/Tachykardie (z.B. Midazolam 2-5mg iv.; oft deutlich höhere Dosen notwendig)
- Antihypertensiva bei Hypertension trotz Benzo-Gabe (>180mmHg + Symptome), z.B. Urapidil 10mg
- Kokain: Bei Sinustachykardie trotz supportiver Therapie: Selektive Betablocker (z.B. Metoprolol) iv.
- Thoraxschmerz (v.a. bei Kokain): Abklärung wie ACS (CAVE: auch erhöhtes Risiko für Aortendissektion)
Cholinerges Toxidrom
- Typ. Auslöser: Organophosphate (Insektizide, Sarin), Physostigmin
- Therapie: Atropin
- bei respiratorischer (Bronchorrhö) / kardiovaskulärer Symptomatik (Bradykardie): 3mg iv.
- alle 5 min. erhöhen, bis zur Kontrolle der Bronchorrhö: z.B. 6mg → 12mg → 24mg iv.
- Hohe Dosen von Atropin nötig, frühzeitig „große“ Ampulle organisieren.
- Zeichen einer Atropin-Überdosierung = Anticholinerges Toxidrom
- evtl. Benzodiazepine bei Krampfanfall
- bei respiratorischer (Bronchorrhö) / kardiovaskulärer Symptomatik (Bradykardie): 3mg iv.
Anticholinerges Toxidrom
- Typ. Auslöser: Antihistaminika, Atropin, Benzodiazepine, Inhalationsnarkotika, Parkinson-Medikation, Scopolamin, Trizyklika
- Therapie: Supportiv: Volumengabe, Kühlung, DK bei Harnverhalt
- evtl. Benzodiazepine bei Krampfanfall
- Physostigmin bei Delir: 0,5-2mg langsam iv. unter Monitoring, ggf. Wiederholung nach 20-30 min.
- Falls keine (signifikante) Besserung nach Physostigmin: Alternative Ursache suchen! Antidot bei Bradykardie nach Physostigmin-Gabe = Atropin (s. cholinerges Toxidrom)
Antidota
Antidota Übersicht
Noxe | Antidot | Kommentar |
---|---|---|
Anticholinergika | Physostigmin | siehe "Toxidrome" oben |
Organophophate | Atropin | |
Opioide | Naloxon | |
Cumarine | Vitamin K, PPSB | Vitamin K Wirkung setzt erst nach Tagen ein |
Digitalis | Digitalis-Antidot (Digifab®) | Nebenwirkung: Ca. 4% Hypokaliämie, 1% Anapyhalxie |
Flusssäure | Calciumglukonat | Siehe Flusssäure-Intoxikation unten |
Heparin | Protamin | 1IE Protamin neutralisiert 1IE unfraktioniertes Heparin Kürzere Halbwegszeit Keine vollständige Antagonisierung von NMH |
Knollenblätterpilz | Silbilin | Siehe Pilzintoxikation unten |
Paracetamol | N-Acetylcystein (ACC) | Nach Schema, siehe unten |
Schlangenbiss in Mitteleuropa v.a. Kreuzotter | European Viper Venom Antiserum | Siehe Schlangenbiss unten. Nur nach Rücksprache mit Giftnotruf. In Notdepots gelagert |
Tenside | Simeticon-Saft | |
Toxische Alkohole | Fomepizol | Alternativ Ethanol-Gabe (mehr NW, billiger) oder Dialyse. Siehe Alkohol-Intoxikation unten |
Zyanid | Hydroxocobalamin (Cyanokit®) | 4-DMAP bei Mischintoxikation (z.B. Rauchgas) mit CO: |
Rescue-Strategien
ECLS
Insb. bei (Misch-)Intoxikation mit kreislaufwirksamer / kardiotoxischer Medikation (z.B. auch bei fulminanter Eiben-Vergiftung) kann ECLS (VA-ECMO) eine „Brücke“ sein. Bei schwerer Intoxikation frühzeitig an Verlegung in Zentrum bzw. Verständigung ECMO-Team denken.
Lipid-Rescue (iv. Lipidemulsionstherapie)
Lipid-Rescue - Hintergrund
- Evidenz für Nutzen lediglich bei Lokalanästhetika-Intoxikation, sonst eher Fallberichte und Expert:innenmeinung
- Als Wirkmechanismus wird „Umschließen“ von lipophilen Medikamenten/Noxen bzw. Bereitstellung von Energie für das Myokard durch Fettsäuren diskutiert
- Potentiell hilfreich v.a. bei lebensbedrohlicher, Intoxikation mit (fettlöslichen) Medikamenten:
- Lokalanästhetika
- Calciumkanalblocker inkl. Verapamil
- Trizyklika (ggf. auch andere Antidepressiva)
- Quetiapin
Vorab Rücksprache mit Giftnotruf!
Mögliche Nebenwirkungen:
- Nach Lipidgabe kann ECLS/Dialyse unmöglich sein (Filter/Kreislauf kann durch Lipide verlegt oder beschädigt werden)
- Fettembolie
- Hypersensitivitätsreaktion
- Messfehler bei Laborwerten, insb. Blutzucker, Magnesium, Kreatinin, Lipase, evtl. Blutgase
Dosierung: 20% Lipidlösung iv. - Maximaldosis 12,5ml/kg
- Lipid immer in eigenem iv.-Zugang / ZVK-Schenkel, großlumiger Zugang nötig
- iv.-Bolus 1ml/kg rasch (bis zu 3x)
- Danach kontinuierliche Infusion mit 15ml/kg/h - meist via Infusomat
(Laufrate bei erneuter Hypotonie ggf. erhöhen) - Maximaldosis meist nach 30-45min erreicht (je nach Anzahl Boli)
- Dosis immer Idealkörpergewicht
Lipid Rescue - Dosierungstabelle
Lipid Rescue | |||
---|---|---|---|
Gewicht | Initialbolus iv. | Infusion Laufrate | Maximaldosis |
50kg | 50ml | 750ml/h | 625ml |
60kg | 60ml | 900ml/h | 750ml |
70kg | 70ml | 1050ml/h | 875ml |
80kg | 80ml | 1200ml/h | 1000ml |
90kg | 90ml | 1350ml/h | 1125ml |
Hochdosierte Insulintherapie
Hochdosierte Insulintherapie - Hintergrund
- Auf wenig Evidenz basierende Empfehlung bei fulminanter Kalziumkanalblocker-Intoxikation (evtl. auch bei Betablockern)
- soll u.a. positiv inotrope Effekte haben
- Wirkeintritt erst nach 30-90min zu erwarten
- Da höchstdosierte Gabe von Insulin & Glukose, besteht häufig Notwendigkeit der Kalium-Substituion, bei ansonsten drohender (schwerer) Hypokaliämie. Daher frühzeitige ZVK-Anlage!
Insulin (kurzwirksam) nach Wirksamkeit titrieren: Alle 20min +50% Laufrate bis Kreislauf stabilisiert (bis zu 10IE/kg/h)
Glukose: Alle 15-30min Blutzucker-Kontrolle.
- Bei Euglykämie/BZ-Abfall: Glukose 0,5-1g/kg/h + Bolusgabe G40% nach Bedarf
- Bei Calciumkanalblockern teils auch (therapieresistente) Hyperglykämie, daher nicht immer parallele Glukosegabe nötig
Kalium: Initial alle 30min Kalium-Kontrolle
- Ziel: Niedrignormale Kaliumkonzentration, Substitution bei beginnender Hypokaliämie
- teils auch zusätzlich Mg-Substitution nötig
Hochdosis-Insulintherapie
Hochdosis-Insulintherapie | ||||
---|---|---|---|---|
Gewicht | Initialdosis iv. | Infusion Laufrate | Erhöhung | Glukose bei (+ Bolus G40% bei Bedarf) |
50kg | 50IE | 25IE/h | +12IE/h | 25-50g/h |
60kg | 60IE | 30IE/h | +15IE/h | 30-60g/h |
70kg | 70IE | 35IE/h | +17IE/h | 35-70g/h |
80kg | 80IE | 40IE/h | +20IE/h | 40-80g/h |
90kg | 90IE | 45IE/h | +22IKE/h | 45-90g/h |
100kg | 100IE | 50IE/h | +25IE/h | 50-100g/h |
Alkohol und Drogen
Trinkalkohol (Ethanol)
Trinkalkohol - Hintergrund
- Auch „C2“ (von chemischer Formel C2H5OH)
- Häufigste Intoxikation bei Erwachsenen
„Starre“ Grenzwerte der Alkoholkonzentration in Bezug auf Wirkung sind obsolet, da hochgradig abhängig von „Gewöhnung der Patient:innen“.
Je nach Gewöhnung kann Grat zwischen Intoxikation und Entzugssymptomatik sehr schmal sein.
Tipp: Bei Atemalkohol-Messung vorab Mund mit Wasser ausspülen lassen, sonst sind falsch hohe Werte möglich.
Checkliste Alkoholintoxikation (Trinkalkohol)
- Bewusstseinstrübung:
- Begleitverletzungen? (Schädelhirntrauma?)
- Alternative Diagnose?
- insb. Hypoglykämie
- bei chron. Alkoholabusus: Hepatische Enzephalopathie
- Monointoxikation ohne massives Erbrechen, erhaltene Schutzreflexe, keine schwere Begleitverletzungen
- Meist keine Intubation nötig (trotz GCS <8)
- engmaschige Überwachung / Monitoring
- Lagerung möglichst in stabiler Seitenlagerun
- Mischintoxikation:
- Therapie nach Toxidrom (meist sedativ-hypnotisch), meist keine rasche Entlassung möglich/sinnvoll
- Chronischer Alkoholkonsum bekannt:
- Großzügig Thiamin 100mg iv. (obligat bei Glukosegabe)
- Bei stationärer Aufnahme:
- Thiamin 100mg/12h
- Bedarfsmedikation für Alkoholentzug (z.B. Lorazepam) planen, siehe Alkoholentzug
Entlassungskriterien bei Alkohol-Intoxikation
Entlassung potentiell möglich falls alle Punkte erfüllt:
- Alkohol-Monointoxikation
- Gang-, Stand- und Verhandlungssicherheit
- Kein Nachtrunk (falls Überwachung durch Notaufnahme Rettungsdienst >1h) oder rückläufiger Alkoholspiegel (z.B. initialer Blutalkoholspiegel vs. Atemalkohol-Verlaufskontrolle nach 1h)
- Normoglykämie
- Keine behandlungspflichtigen Verletzungen
- Keine Hinweise auf Suizidalität
- Keine auffällige fokale Neurologie
- V.a. häuslicher Gewalt: Sicheres Umfeld, weiteres Vorgehen nach Patient:innen-Wunsch
Siehe auch: Hintergrund zu Aufnahme oder Entlassung bei Alkoholintoxikation
Hintergrund zu Aufnahme oder Entlassung bei Alkoholintoxikation
Häufig werden drei zentrale Fragen diskutiert:
- Wann muss ein alkoholintoxikierter Pat. aufgenommen werden
- Wann muss man Pat. gegen deren Willen aufnehmen?
- Wer muss auf eine Intensivstation oder eine psychiatrische Klinik?
Alle drei Fragen lassen sich nicht nach einem festen Schema beantworten, es kommt jeweils auf die Situation an. Folgende Gedanken sollten aber in die Überlegung einfließen:
- Besteht eine wirkliche Gefährdung, nicht nur eine theoretisch mögliche? „Diese Patientin ist zu betrunken, um die kalte Nacht draußen zu überleben, und sie schafft es auch nicht in eine Notunterkunft“ ist eine konkrete Gefahr.
„Der Pat. könnte ja auf die Straße wanken und überfahren werden“ ist hingegen eine ziemlich theoretische Gefahr.
Mache ich mir wirklich Sorgen - oder will ich nur „auf Nummer sicher gehen?“
- Wenn Pat. keine Entgiftung im Krankenhaus wünschen, dann gibt es keinen Grund, diese zu erzwingen, auch wenn sie natürlich grundsätzlich wünschenswert wäre. Eine Zwangseinweisung mit dem einzigen Ziel, die Alkoholabhängigkeit durch eine Entgiftung zu beenden, ist keine durchführbare Option. Der/die Pat. würde wahrscheinlich spätestens am nächsten Morgen im nüchternen Zustand doch die Entlassung erwirken.
- Auf eine Intensivstation müssen nur die Pat. aufgenommen werden, die auch wirklich vital gefährdet sind. Dafür reicht eine unkomplizierte Alkoholintoxikation nicht. Gründe für eine intensivmedizinische Überwachung können aber sein:
- Unklare Mischintoxikation
- Schwere körperliche Begleiterkrankung, die Komplikationen des Entzuges sehr wahrscheinlich machen
- Extrem hohe Promillezahlen, etwa ab 5 Promille
- Reduzierte Schutzreflexe (das ist allerdings bei reinen Alkoholintoxikationen erst sehr spät und selten der Fall)
Toxische Alkohole
Toxische Alkohole - Hintergrund
Bei Verstoffwechselung der Alkohole werden verschiedene toxische Substanzen erzeugt (u.a. Ameisensäure), welche metabolische Azidose und Organschäden auslösen. Ziel ist daher entweder ein verlangsamter Abbau (durch Ethanol- oder Fomepizol-Gabe) oder ggf. Elimination der toxischen Alkohole via Dialyse.
Hoher Verdacht auf Intoxikation mit toxischen Alkoholen bei:
- Vigilanzminderung plus
- Metabolische Azidose mit extrem vergrößerter Anionenlücke (>20mmol/l) und fehlender alternativer Erklärung und/oder
- Vergrößerte Osmolalitätslücke (>10 mosmol/kg)
- Häufig Nierenfunktionseinschränung
Ethylenglykol (Frostschutzmittel, Bremsflüssigkeit, ältere Kühlpacks)
Ethylenglykol - Hintergrund
Akzidentielle Ingestion oder bei Suchtdruck bei chronischem Alkoholabusus.
Achtung: Einige BGA-Geräte erfassen das toxische Abbauprodukt Glykolat fälschlicherweise als Laktat (daher ggf. Anschein einer Laktatazidose).
- Potentiell lebensgefährlich ab 100ml (Erwachsene)
Symptome:
- Ab 0,1ml/kg erste Symptome (Übelkeit, Rausch)
- Ab 0,2ml/kg schwere Symptome (Nierenschädigung, Koma) möglich
Methanol (fehlerhafte Alkoholgärung, Treibstoffe)
Geschmacklich von Ethanol nicht zu unterscheiden.
- Potentiell lebensbedrohlich ab 30-100ml Methanol (Co-Intoxikation mit Methanol+Ethanol verlaufen meist weniger schwer)
Symptome:
- Schwere metabolische Azidose, häufig Sehstörung bis Blindheit
- Leichte Intoxikation bis 0,2g/kg
- Schwere Intoxikation ab 0,5g/kg
Checkliste Toxische Alkohole
- Fomepizol 15mg/kg iv. (Initialdosis, solang Kreatinin <3mg/dl)
- Falls Fomepizol nicht verfügbar: Ethanol-Gabe (Ziel-Blutalkoholspiegel ca. 1‰)
Ethanol-Gabe + Dosierung bei toxischer Alkoholintoxikation
Orale Therapie (falls Pat. wach und kooperativ, Schutzreflexe erhalten)
- Meist 20%ige Lösung um Übelkeit zu vermeiden, z.B. Verdünnung Wodka 40% 1:1 mit Wasser/Saft
- „Loading Dose“ 20% Ethanol po.: 4ml/kg
- Erhaltungsdosis 20% Ethanol po.: ca. 0,5ml/kg/h (Dosis nach Ethanolspiegel (+ Gewohnheit Ethanolkonsum) anpassen)
- Merkspruch: Loading Dose „Pro 10kg ein Shot 40%” (Shot = 20ml; 40% Alkohol)“
Intravenöse Therapie (Nachteile vs. po.-Gabe: Hohe Osmolalität, Gabe von viel freiem Wasser)
- 10%ige Ethanol-Infusion = 450ml G5% + 50ml Ethanol 95%
- Loading Dose 10% Ethanol iv.: 8ml/kg (über 60 min.)
- Erhaltungsdosis 10% Ethanol iv.: 1ml/kg/h
- Dosis nach Ethanolspiegel (+ Gewohnheit Ethanolkonsum) anpassen. Bei gleichzeitiger Dialyse bis zu 3,5ml/kg/h nötig
- Fomepizol und Ethanol verlängern Halbswertszeit toxischer Alkohole enorm = prolongierte Behandlung nötig: frühzeitig Dialyse erwägen!
- Unterstützend Gabe von:
- Folsäure 50mg iv.
- Thiamin 100mg iv.
- ggf. NaBic 8,4% 1-2ml/kg iv. bei pH <7,3
Sonderfall: Isopropyl-Alkohol / Propanolol („Desinfektionsmittel“)
Desinfektionsmittel - Hintergrund
- Ähnliche toxische Wirkung wie Ethanol
- Wirkung abhängig von Ingestionsmenge (v.a. Vigilanzminderung bis zur Bewusstlosigkeit)
- bei großer Trinkmenge abdominelle Schmerzen und/oder Übelkeit
- Im Unterschied zu Ethylenglykol/Methanol geringere Toxizität, erhöhte Osmolalitätslücke, jedoch keine vergrößerte Anionenlücke
- Wird zu Azeton (=Ketonkörper) metabolisiert, daher ggf. falsch erhöhtes Kreatinin in laborchemischer Messung
- Letale Dosis geschätzt ca. 4-8g/kg
Vorgehen:
- Wie bei Ethanol-Intoxikation
→ Sicherung der Vitalfunktionen, insb. Atemweg - Dialyse bei schwerer Symptomatik
- Fomepizol ist nicht indiziert
Drogen
→ Therapie primär nach Toxidrom
Drogenintoxikation - Hintergrund
- Zunehmend weniger „klassische“ Drogenintoxationen (Heroin, Kokain, LSD etc.) und immer mehr (Meth-)Amphetamine bzw. -derivate und „Designerdrogen“
- "Designerdrogen" = formal „Research Chemicals“:
minimal veränderte chemische Substanzgruppen zur Umgehung der gesetzlichen Beschränkungen, z.B. synthetische Cathinone („Badesalze“) oder synthetische Cannabinoide) - Bei Desingerdrogen „buntes“ Symptombild möglich; von sedativ-hypnotisch bis sympathomimetisch halluzinogenem Toxidrom
→ Neue psychoaktive Substanzen sind in der Regel gefährlicher als klassische Drogen
Typische Szenenamen z.B. →Drug-Infopool.de
„KO-Tropfen“
KO-Tropfen - Hintergrund
- Meist Vorstellung in Notaufnahme nach Bewusstseinsverlust bzw. „Filmriss“, häufig im Rahmen von Alkohol- und oder anderen Drogenkonsums; regelmäßig bezogen auf die zurückliegende Nacht
- Subjektiver Verdacht/Vermutung, dass „etwas in das Getränk gegeben“ wurde
- Schwierige Einschätzung: Einfach „nur“ die deutlich häufigere Alkoholintoxikation vs. aktive Vergiftung durch andere Person?
Typische „KO-Tropfen“ („Date Rape Drugs“):
- GHB
- GBL
- Benzodiazepine
- Ketamin
Problematisch: Insb. GHB ist maximal 12h im Urin, max. 8h im Blut (Serum) nachweisbar (GBL wird rapide zu GHB umgewandelt, selbe Nachweisproblematik).
Checkliste V.a. KO-Tropfen
- Allgemeine Evaluation
- Aktuelle toxikologische Symptomatik
- Verletzungen
- Möglichkeit von sexueller Gewalt?
- Verletzungszeichen: Diagnostik, Therapie und Dokumentation wie bei sonstiger Gewalthandlung, zusätzlich ggf. Asservation von Blut- und Urinproben (s. unten)
- V.a. sexuelle Gewalt: Diagnostik, Therapie und Beweissicherung wie bei V.a. Vergewaltigung, zusätzlich ggf. Asservation von Blut- und Urinproben - Rücksprache Polizei!
Asymptomatisch, keine Verletzungen, kein Hinweis auf sexuelle Gewalt
- Wenn Anzeige und Spurenasservation gewünscht: „Gerichtsfeste“ Blutentnahme mit Polizei-Blutentnahme-Sets (vorab Rücksprache mit Polizei, lokales Procedere prüfen). Spezialdiagnostik nur auf Anforderung durch Staatsanwaltschaft (anderenfalls ist meist eine private Zahlung durch Patient:in erforderlich!)
- Wenn keine Anzeige/Polizei gewünscht, aber relevanter Verdacht auf KO-Tropfen-Intoxikation:
Nach individueller Einschätzung evtl. Probenentnahme und -mitgabe an Patient:in zur weiteren ambulanten Analyse, bis dahin z.B. Lagerung im eigenen Kühlschrank. Das ist allerdings keine „gerichtsfeste“ Dokumentation - Patient:in hierüber aufklären!
→ Frühzeitiger Verweis an / Rücksprache mit (nächstgelegener) Rechtsmedizin
Bodypacker
Transport von Drogen (v.a. Amphetamine, Kokain) über Grenzen (typisch: Flugreisende, Gefängnisinsassen) durch Verpackung der Substanzen in kleine Pakete und anschließendes Herunterschlucken (im Verlauf dann ausscheiden) oder rektales Einführen.
Gefahren:
- Obstruktion bis zu Ileus
- Kritisch: Austreten des Inhaltes - potentiell massivste bis letale Intoxikation
Checkliste Bodypacker
- Nachweis der Päckchen
- Evtl. via Röntgen-Abdomen, teils sonografisch möglich
- Goldstandard (insb. bei V.a. Perforation / geplanter OP): CT-Abdomen mit oralem KM
- Asymptomatische Patient:innen
- Engmaschige Überwachung bis zur Ausscheidung aller Pakete
- Evtl. Nutzung von oraler Darmlavage (analog zur Vorbereitung auf Koloskopie), bis zu 2l/h (hier oft Magensonde nötig um Volumen zu erreichen)
- Ggf. zusätzlich Erythromycin 1x250mg iv. bei erst kürzlich erfolgter Einnahme
- Endoskopische Entfernung nur bei ausreichender Expertise (Gefahr der Perforation)
- Symptomatische Patient:innen → nach Toxidrom
- Bei Heroin oft hohe Dosierung von Naloxon nötig, nach Wirkung dosieren (siehe Toxidrome)
- V.a. bei Kokain / Amphetaminen (sympathomimetisches Toxidrom, initiale Therapie s. Toxidrome): Schnellstmögliche operative Entfernung!
Medikamente
Paracetamol
- Tagesmaximaldosis für Erwachsene: 4g/24h
- Toxische Dosis ab 150mg/kg
- Antidot: ACC - Gabe nach Nomogramm (s. unten)
- Initialdosis: ACC 150mg/kg in 200ml G5% über 60 min. (s. Tabelle unten)
Erhöhtes Risiko:
- Tagelange „nur geringe“ Überdosierung (supratherapeutische Einnahme)
- Einnahme retardierter PCM-Präparate (in D nicht erhältlich)
- Bestehende Leberschädigung / Alkoholabusus
Mehrstufiger Verlauf nach Einnahme toxischer Dosis:
- Binnen 2-14h GI-Symptomatik
- Symptomfreie Phase mit Leberwert-Erhöhung
- Nach 3-4 Tagen maximale Symptomatik: Leberwert-Erhöhung, Ikterus bis hin zu hepatischer Enzephalopathie, Nierenversagen, Azidose.
Worst Case: fulminantes Leberversagen
Je früher Behandlung, desto besseres Outcome; häufig aber erst Vorstellung in Phase 3.
Checkliste Paracetamol
- Einmalige Überdosierung und Vorstellung <4h nach Einnahme:
- Aktivkohle 0,5-1g/kg
- Ab 250mg/kg sofort ACC-Gabe
- PCM-Spiegel sofort und 4h nach Einnahme bestimmen
- Einmalige Überdosierung und Vorstellung >4h nach Einnahme:
- PCM-Spiegel (wenn rasch verfügbar), dann ACC nach Nomogramm
- Falls Spiegel nicht rasch verfügbar - Rücksprache Giftnotruf, ggf. ACC-Beginn
- Tagelange supratherapeutische Einnahme (>4g/d) und Beschwerden:
- Nomogramm unzuverlässig, Rücksprache mit Giftnotruf
Therapie-Nomogramm
ACC-Therapieschema
ACC ist dialysabel: unter Dialyse Dosis verdoppeln
ACC - Nebenwirkungen
- Anaphylaktoide Reaktionen beschrieben
- Häufig „nur“ Urtikaria, hier ist Pause der Infusion meist ausreichend, Gabe von H1-Blocker (z.B. Dimetiden 0,1mg/kg iv.)
- Respiratorische Symptomatik: Adrenalin vernebeln
- Nach Besserung der Symptome Infusion (langsam!) wieder starten
- Bei prolongierter/ausgeprägter Anaphylaxie: Standard-Therapie wie Anaphylaxie, dann ACC-Gabe beenden und Rücksprache mit Giftnotruf
- Übelkeit, Erbrechen (typische Nebenwirkung): Ggf. Infusionsgeschwindigkeit reduzieren, symptomatische Therapie
ACC Therapieschema
Zuerst Infusion 1 über 60 Minuten, danach Infusion 2 über 4 Stunden, danach Infusion 3 über 16 Stunden.
1. Infusion | 2. Infusion | 3. Infusion | |
---|---|---|---|
Gewicht | Dosis ACC | Dosis ACC | Dosis ACC |
40kg | 6000mg | 2000mg | 4000mg |
50kg | 7500mg | 2500mg | 5000mg |
60kg | 9000mg | 3000mg | 6000mg |
70kg | 10.500mg | 3500mg | 7000mg |
80kg | 12.000mg | 4000mg | 8000mg |
90kg | 13.500mg | 4500mg | 9000mg |
100kg | 15.000mg | 5000mg | 10.000mg |
≥110kg | 16.500mg | 5500mg | 11.000mg |
Trizyklische Antidepressiva
(„-pramin“ „-tryptilin“) z.B.: Amitryptilin, Doxepin, Trimipramin, Imipramin
Potentiell schwere Symptomatik ab 10-20mg/kg.
Symptomatik:
- Binnen 1-3h zunächst leichte Symptome: Müdigkeit, Hypotonie, Sinustachykardie
- Ausgeprägte Symptomatik / schwerer Verlauf = anticholinerges Toxidrom:
- Verwirrtheit (bis zu Halluzinationen), Krampfanfälle, Koma
- QRS-Verbreiterung, Hypotonie, Schock, Torsade-De-Pointes Tachykardie, VT
- Hypokaliämie / Hyponatriämie
Überwachungszeit:
- Min. 12h nach Sistieren der Tachykardie / 24h nach Sistieren von EKG-Veränderungen
- Wenn beschwerdefrei nach 6-8h und keine Retard-Tabletten eingenommen: Keine weiteren Symptome zu erwarten
Checkliste Trizyklika
- Basismaßnahmen inkl. Kohlegabe
- Hypotonie / Schock:
- Volumengabe (VEL 500ml, dann nach Klinik)
- ggf. Noradrenalin-Perfusor
- Tachykardie: Physostigmin 0,5mg langsam iv. (ggf. repetitiv bis max. 2mg)
- Krampfanfälle: Benzodiazepine (z.B. Midazolam 0,2mg/kg iv. bis zu 10mg)
- Kritischer Verlauf (zentrales anticholinerges Syndrom mit Vigilanzminderung, Koma oder Tachykardie >140/min):
- Betablocker, Ajmalin, Amiodaron, Flecainid vermeiden
- Bei QRS-Verbreiterung (evtl. schon ab 100ms; definitiv ab >160ms; je breiter, desto gefährlicher): NaBic 8,4% 1ml/kg iv. (Ziel-pH 7,45-7,5)
- Vigilanzminderung:
- Intubation
- Kein Flumazenil! (auch nicht bei Co-Intoxikation mit Benzodiazepinen, da Krampfschwelle bei Trizyklika-Intoxikation bereits erniedrigt ist)
- Rescue-Strategien:
- Lipid Rescue, alternativ: ECLS
Calciumkanalblocker
(„-dipin“ ) z.B.: Amlodipin, Lercanidipin, Felodipin, Nifedipin (auch Diltiazem/Verapamil)
Calciumkanalblocker - Hintergrund
- Symptomatische Intoxikation bereits möglich ab Einnahme der doppelten therapeutischen Dosis
- gefährlich etwa ab fünffacher Dosis (sehr abhängig von Präparat → Rücksprache mit Giftnotruf)
CAVE: Bei Kindern <4 Jahren kann bereits eine Tablette z.B. Amlodipin oder Nifedipin tödlich sein (s. unten).
Symptomatik:
- Kritisch: Klinische Zeichen verminderter kardialer Kontraktilität, Schockzeichen
- Bradykardie
- Hypotonie
- Teils Hyperglykämie möglich
- Häufig „relativ“ uneingeschränkte Vigilanz
- Besonderheiten ausgewählter Präparate bei Überdosierung:
- Amlodipin, Nifedipin, Felodipin:
Primär Vasodilatation, Reflextachykardie, bei hoher Dosis Kardiodepression, Bradykardie - Verapamil, Diltiazem:
Primär Kardiodepression, Bradykardie
- Amlodipin, Nifedipin, Felodipin:
Überwachungszeit: Asymptomatische Patient:innen sollten 24h überwacht werden, bei Retardpräparaten länger.
Checkliste Calciumcanalblocker
- Basismaßnahmen inkl. Kohlegabe
- Bei jeglicher Symptomatik → sofortige Therapie und Intensivüberwachung, da sehr rasche Verschlechterung möglich!
- Bradykardie und/oder Hypotonie:
- Calcium-Gabe (nach repetitiver Gabe Ca-Spiegel-Kontrolle)
- Calciumgluconat 10% iv. KI: 30-60ml (3-6g) alle 10-20 Minuten (genauer: 0,6-1,2ml/kg/h / 0,06-0,12g/kg/h) oder
- Calciumchlorid 10% iv. KI via ZVK : 10-20ml (1-2g) alle 10-20 Minuten (genauer: 0,2-0,4 ml/kg/h / 0,02-0,04 g/kg/h)
- Volumengabe (v.a. bei Hypotonie)
- Bei ausgeprägter Bradykardie ggf. passagere transvenöse Schrittmacheranlage, ggf. initial transkutanes Pacing
- Calcium-Gabe (nach repetitiver Gabe Ca-Spiegel-Kontrolle)
- Myokardiale Dysfunktion / Schock: zusätzlich zu oben genannten
- Katecholamintherapie, primär Noradrenalin-Perfusor (v.a. bei Hypotonie) und ggf. Adrenalin-Perfusor (v.a. bei Bradykardie)
- Hochdosierte Insulintherapie
- Rescue-Strategien:
- ECLS (VA-ECMO) oder falls diese nicht verfügbar ist:
- Lipid Rescue erwägen
- Bei Kreislaufstillstand zusätzlich zu Standard-Reanimation: Calcium-Bolus (s. oben)
- ECLS (VA-ECMO) oder falls diese nicht verfügbar ist:
Betablocker
(„-olol“ ) z.B.: Metoprolol, Bisoprolol, Carvedilol, Nebivolol, Propanolol
Betablocker - Hintergrund
Symptomatik meist binnen 1-2(-6)h, bei Retardpräparaten auch bis 24h nach Ingestion.
CAVE: Betablocker sind häufig Retardpräparate!
Symptomausprägung individuell sehr verschieden, auch abhängig von Hydrophilie oder Lipophilie (hier Überwindung von Blut-Hirn-Schranke). Deutlich erhöhtes Risiko bei Mischintoxikation mit Calciumkanalblockern!
Symptomatik:
- Hydrophile Betablocker (Metoprolol, Bisoprolol): Primär kardiovaskulär (Hypotonie, Bradykardie)
- Lipophile Betablocker (Propranolol): Zusätzlich auch ZNS-Symptomatik: Krampfanfälle bis Koma
- Bei höheren Dosierungen fällt kardioselektive Wirkung meist weg, dann breite Symptomatik:
- Bradykardie
- Hypotonie
- Evtl. auch Arrhythmien (bis zu VT)
- QRS-Verbreiterung
- Krampfanfall
- Vigilanzminderung
- Hypoglykämie (v.a. auch Kleinkinder)
- Hypokaliämie
- Sehr rasche Verschlechterung / „Einbrechen“ möglich (anekdotisch wohl v.a. bei Vagusreiz)
Toxische Dosen + Überwachungszeiten (nach Präparat)
- Bisoprolol: Meist leichterer Verlauf mit Bradykardie ± Hypotonie, seltener AV-Block I°
Monitorüberwachung etwa ab 20mg empfohlen - Metoprolol: Toxischer als Bisoprolol, führend oft Hypotonie ± Bradykardie, höhergradige AV-Blöcke selten.
Ab 1g Kreislaufinsuffizienz möglich, ab 3g wahrscheinlich, ab 5g vitale Bedrohung! - Propanolol: Höchste Toxizität! Symptome können blitzartig auftreten, ggf. Krampfanfall als initiales Symptom
Unter 500 mg meist leichte Symptomatik, ab 1g schwere Vergiftung wahrscheinlich
Checkliste Betablocker
- Basismaßnahmen inkl. Kohlegabe
- Metoprolol ab >450mg / Bisoprolol >20mg / Propanolol >320mg
- Evtl. endoskopische Bergung (bei großer Tablettenanzahl) erwägen
- Symptomorientierte Maßnahmen (ohne Schock):
- Hypotonie: Volumengabe
- Bradykardie: Atropin 0,5-1mg iv. alle 3-5 Minuten (Maximaldosis insgesamt 3mg)
- QRS-Verbreiterung / ventrikuläre Tachykardie (Therapieversuch):
- NaBic 8,4% 1ml/kg iv. KI (Ziel-pH 7,45-7,5)
- Magnesiumsulfat 10% 20ml (ca. 8mmol Mg) iv. KI
- Hypoglykämie: Glukosegabe
- Krampfanfälle: Benzodiazepine
- Bei refraktärer Bradykardie / Schock:
- Katecholamintherapie, primär Noradrenalin-Perfusor (v.a. bei Hypotonie) und ggf. Adrenalin-Perfusor (v.a. bei Bradykardie)
- Hochdosierte Insulintherapie (s. oben)
- Ggf. Glukagon (50-150µg/kg über 1-2 Minuten; dann 50-100µg/kg/h)
- ggf. passagere transvenöse Schrittmacheranlage, ggf. initial transkutanes Pacing
- Rescue-Strategien:
- ECLS (VA-ECMO) oder falls diese nicht verfügbar ist:
- Lipid Rescue erwägen
- ECLS (VA-ECMO) oder falls diese nicht verfügbar ist:
Salicylate
Salicylate - Hintergrund
- Führen zur Unterbrechung der mitochondrialen Atmungskette
- Zu Intoxikationen kommt es primär bei suizidaler Einnahme von ASS; seltener auch bei chronischer leichter Überdosierung mit >100mg/kg/d über mehrere Tage (ähnlich wie Paracetamol)
- Andere Quellen von Salicylsäure sind u.a:
Pferdesalbe, aufgekochte Weidenrinde (Tee) - Beschwerdeeintritt meist binnen 1-3h, bei großer Tablettenmenge / Retardpräparaten auch bis zu 20h nach Einnahme.
Symptomatik:
- Übelkeit/Erbrechen / Bauchschmerzen
- Evtl. Hörminderung / Tinnitus
- Schwere Symptomatik:
- Hyperventilation
- Metabolische Azidose (pH ≤7,2)
- Vigilanzminderung bis Koma
- Neue Hypoxämie mit O2-Pflicht (falls nicht bereits vorbekannt, wie z.B. COPD mit LTOT)
- Salizylsäure-Serumspiegel >7,2mmol/l (100mg/dl)
bei Niereninsuffizienz: >6,5mmol/l (90mg/dl) - Selten auch Lungenödem, Hirnödem, Schock
Toxische Dosis:
- Ab 200-400mg/kg ASS sind leichte Beschwerden zu erwarten
- Ab 400mg/kg ASS drohen schwere Verläufe mit potenzieller Lebensgefahr
- Spiegelbestimmung abseits von Zentren ist oft langwierig - daher Faustregel: „Mehr als 1 Tbl. à 500mg pro Kilogramm Körpergewicht = Lebensgefahr“
Diagnostik:
- BGA:
- Typischerweise metabolische Azidose mit vergrößerte Anionenlücke (in Frühphase teils noch resp. Alkalose)
- pH aufgrund respiratorischer Kompensation initial evtl. noch normwertig
- Spiegelbestimmung:
- Nur in größeren Laboren möglich, zudem gerade bei retardierten Präparaten verspätetes Ansteigen (bis 20h nach Einnahme) → Klinik + Anamnese führt!
- Erste Messung 2-4h nach Tabletteneinnahme, dann alle 2h bis abfallend
Checkliste Salicylate
- Basismaßnahmen inkl. Kohlegabe
- Neurologische Symptomatik (außer Hörminderung):
- Glukosegabe (auch bei Euglykämie, da evtl. isolierte zerebrale Hypoglykämie)
- Ab 200-300mg/kg:
- Urinalkalisierung: NaBic 8,4% 150ml in 1000ml G5% 1000ml, 2-3ml/kg/h.
Ziel: Urin-Ph 7,5-8
- Urinalkalisierung: NaBic 8,4% 150ml in 1000ml G5% 1000ml, 2-3ml/kg/h.
- Schwere Intoxikation / Azidose:
- NaBic 8,4% 100ml iv. KI (Ziel: Normwertiger pH) als Überbrückungsmaßnahme
- Dialyse
CAVE falls Atemwegssicherung nötig: "Physiologisch schwieriger Atemweg"
Physiologisch schwieriger" Atemweg = die häufig bestehende (ausgeprägte) Hyperventilation dient der (Teil-)Kompensation einer schweren metabolischer Azidose. Falls Intubation bei Vigilanzminderung unbedingt nötig: Präoxygenierung mit NIV, rasche Einleitung mit kurzer Apnoe-Phase und Zwischenbeatmung, anschließend Hyperventilation
Ibuprofen
Selten letale Intoxikation.
Symptomatik:
- Häufig „nur“ Allgemeinsymptomatik mit
- Abdominelle Schmerzen
- Übelkeit, Erbrechen
- Kopfschmerz
- Schwere Symptomatik:
- Metabolische Azidose (24-48h andauernd)
- Vigilanzminderung bis Koma
- Schock
- Selten Nierenversagen
Toxische Dosis:
- Schwere Symptome ab 400mg/kg beschrieben, meist aber erst deutlich höheren Mengen (>600-800mg/kg).
Checkliste Ibuprofen
- <150mg/kg: Keine Therapie
- 150-200mg/kg:
- ab >200mg/kg:
- Kohlegabe bei Einnahme <1h
- Stationäre Aufnahme, mind. 4h Überwachung bzw. bis Symptomfreiheit
- Ggf. PPI-Gabe für eine Woche, z.B. Pantoprazol 40mg 1xtgl (keine Evidenz)
- ab >600mg/kg oder bei schwerer Symptomatik:
- Intensivmedizin, supportiv
- Hypovolämie/Schock: Volumen, Noradrenalin-Perfusor
- Azidose: NaBic 8,4% 100ml iv KI
- Ggf. Dialyse wegen Azidose/Niereninsuffizienz (nicht für Elimination hilfreich)
- Intensivmedizin, supportiv
Digitalis
Zunehmend seltene Vergiftung; Vorkommen v.a. bei (akzidentieller) Überdosierung und gleichzeitiger (evtl. progredienter) Niereninsuffizienz.
Symptomatik:
- Diffus, z.B. Übelkeit, Benommenheit
- Oft Herzrhythmusstörungen, insb.:
- Bradykardie
- typische „muldenförmige“ ST-Senkungen (ST-Senkung ist kein Zeichen für Intoxikation, "nur" für Einnahme)
Toxische Dosis:
- Bedrohlicher Spiegel (individuell, erst 6h nach letzter Ingestion aussagekräftig) ab etwa:
- Digoxin: 10-15ng/ml
- Digitoxin: 30ng/ml
- Therapeutischer Spiegel zum Vergleich:
- Digoxin: 0,5-0,9ng/ml
- Digitoxin 9-20ng/ml
Checkliste Digitalis
- Basismaßnahmen inkl. Kohlegabe
- Symptomatische Intoxikation:
- Bradykardie: Atropin 0,5mg iv. (repetitiv bis 3mg), ggf. transvenöse (initial ggf. transkutane) Schrittmachertherapie
- Hypotension: Volumen, ggf. Noradrenalin-Perfusor
- Antidot: „DigiFab®“:
Bei hämodynamischer Instabilität oder Einnahme ab 6mg Digoxin / 3mg Digitoxin (nach Rücksprache mit Giftnotruf). Wirkeintritt nach 30-90min zu erwarten.
Lithium
Sehr schmale therapeutische Breite (0,6-1,2mmol/l).
Bei Blutentnahme (Spiegelbestimmung): Kein Lithium-Heparin-Röhrchen verwenden!
Lithium - verschiedene Szenarien bei Intoxikation
- Akute Intoxikation (bisher keine Lithium-Einnahme, akute Intoxikation):
Häufig initial v.a. GI-Symptomatik. Selten ZNS-Symptomatik, da Anreicherung in ZNS viel Zeit benötigt. Auch hohe Spiegel sind meist nicht lebensbedrohlich - Akut auf chronisch (dauerhafte Lithium-Einnahme, zusätzlich akute Intoxikation):
Bedrohlicher als akute Intoxikation, da bereits ein „steady state“ (Grundspiegel) vorhanden ist - Chronisch (Lithium-Dauertherapie, nun erhöhter Wirkspiegel bspw. bei Niereninsuffizienz im Rahmen eines Infekts Exsikkose): Bereits ab 1,5mmol/l ausgeprägte Symptomatik möglich
Symptomatik:
- Neurologisch: Müdigkeit, Schwäche, Ataxie, Tremor, Faszikulationen
- Gastrointestinal: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Mundtrockenheit
- Kardial: Bradykardie, QTc-Verlängerung, QRS-Verbreiterung, selten Arrhythmien
Checkliste Lithium
- KEINE Aktivkohle-Gabe, da wirkungslos
- Gastroskopie bei großen Mengen (ab ca. 80mg/kg) und kürzlicher Ingestion zur Bergung erwägen (Lithiumtabletten sind röntgendicht, ggf. zuvor Röntgen-Abdomen)
- Volumengabe (Ziel: Euvolämie), evtl. mit NaCl 0,9% (verminderte Lithium-Rückresorption in der Niere durch vermehrtes Natrium)
- Dialyse bei:
- Lithiumspiegel > 5mmol/l + Symptomatik
- Ausgeprägte ZNS-Symptomatik (Vigilanzminderung, Verwirrung, Krampfanfall)
- Niereninsuffizienz (GFR <45ml/min, ANV °2/3, Kreatinin >2mg/dl, Olig-/Anurie) + Lithiumspiegel > 4mmol/l
- Spiegelkontrollen alle 4h, bis Serumspiegel zweimal nacheinander fallend
- Dialyse-Ende ab Serumspiegel <1 mmol/l und rückläufiger Symptomatik
Rauchgase und Reizstoffe
Rauchgase generell
CO: Diffuse Allgemeinsymptomatik (z.B. Kopfschmerz, Schwindel oder Synkope bis zu AP, Dyspnoe, Azidose und Vigilanzminderung); Nachweis in BGA
Zyanide: Diffuse Symptomatik, direkter Nachweis üblicherweise nicht möglich, ggf. anhaltende Laktaterhöhung. Bei unklarer Brandrauchinhalation + Symptome + COHb↑: CO und Zyanide behandeln!
Kohlenmonoxid
Kohlenmonoxid - Hintergrund
- Geruchslos, farblos, kann durch Wände diffundieren
- Im Rettungsdienst durch weit verbreitete CO-Warner vermehrt detektiert (messen CO-Konzentration in Umgebungsluft)
- Durch deutlich stärkere Bindung an Hb (vgl. O2) und Linksverschiebung der Sauerstoffbindungskurve verminderte O2-Transportkapazität und -abgabe, zudem zelluläre Sauerstoffverwertung beeinträchtigt
- Mischintoxikation mit anderen Gasen bei Rauchgasinhalation oder CO-Monointoxikation bei unvollständigen Verbrennungsprozessen, z.B.
- Grillen in geschlossenen Räumen (teils in suizidaler Absicht, teils aus Unwissen)
- Defekte Gastherme mit CO-Austritt („unklare Bewusstlosigkeit in Badezimmer/Wohnung“)
- Laufender Motor in geschlossener Garage (suizidal z.B. mit Abgas-Einleitung in Auto)
- Sisha-Bar mit unzureichender Belüftung / Shisha-Konsum
- Holzpellets im Keller, bei längerer (feuchter) Lagerung und mangelnder Belüftung
Hochrisiko-Patient:innen:
- Schwangere
- Kinder
- Vorbestehend erhöhtes kardiovaskuläres Risikoprofil
Symptomatik diffus, u.a.:
- Allgemeinsymptome:
- Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen
- Schwindel, Kollaps, Synkope
- Schwere Symptome:
- Dyspnoe bis zu resp. Insuffizienz (meist keine Zyanose, eher rosiges Hautkolorit)
- Thoraxschmerzen, evtl. kardiale Ischämie
- Metabolische Azidose (Laktat!)
- Bewusstseinsstörungen bis Koma
Diagnostik:
- CAVE: Bei „normaler“ Pulsoxymetrie ist COHb-Messung nicht möglich (Hb wird als beladen erfasst → falsch hohe spO2-Werte)
- BGA = Nachweis (venös ausreichend) als COHb.
Toxische Werte sehr variabel, daher zählt primär Klinik + vermutete / gesicherte Exposition- COHb erhöhte Werte (grob):
- >5% bei Nichtraucher:in
- >10% bei Raucher:in
- bei Symptomatik ab 3-4%!
- COHb erhöhte Werte (grob):
- Zusätzlich immer EKG: Zeichen für kardiale Ischämie?
- Auch spezielle "Multispektrum-Pulsoxymetrie" ist aktuell nicht ausreichend präzise, um CO-Intoxikation sicher auszuschließen: Kann nur für eine grobe Einschätzung herangezogen werden!
CAVE: Langzeitschäden (Gedächtnisstörungen, Ataxie, erhöhtes kardiovaskuläres Risiko) treten teils erst nach Tagen bis Wochen auf!
Daher vor Entlassung "saubere" neurologische Untersuchung + EKG dokumentieren.
Checkliste Kohlenmonoxid CO
- Hochdosierte Sauerstoffgabe sobald Verdacht besteht (15l/min via Reservoirmaske)
- COHb >10% + Symptomatik und/oder Schwangere:
- NIV-Therapie 100% FiO2 (beschleunigt Elimination, erhöht O2-Angebot)
- Schwere Symptomatik:
- Hyperbare Sauerstofftherapie (HBO, Druckkammer) erwägen
- Vigilanzminderung: Intubation und Beatmung mit FiO2 100%
- Hyperbare Sauerstofftherapie (HBO, Druckkammer) erwägen
- Entlassung möglich bei:
- Völlig rückläufiger Symptomatik und COHb-Wert unter 3%
- „Abschluss-BGA“ ist Pflicht (dokumentieren!)
- Ambulante Verlaufskontrolle bei Hausärzt:in nach 4 Wochen empfehlen (potenzielle neurologische Langzeitschäden)
- CAVE: Bei jeder unklaren CO-Intoxikation unbedingt häusliches Umfeld durch Feuerwehr prüfen lassen (lecke Gastherme etc.). Außerdem erwägen: Gibt es andere potentiell Exponierte?
Zyanide (Blausäure)
Häufig bei Bränden in geschlossenen Räumen; oft kombinierte Intoxikation mit Zyaniden & Kohlenmonoxid (CO). Toxische Wirkung: Hemmung der mitochondrialen Atmungskette („inneres Ersticken“).
Symptomatik:
- Ähnlich wie bei CO-Intoxikation
- Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen
- Schwindel, Kollaps, Synkope
- Tachypnoe, Dyspnoe
- Krampfanfälle, Vigilanzminderung bis Koma
- Evtl. Bittermandel-Geruch
Diagnostik:
- Zyanidmessung in der Notaufnahme nicht regelhaft möglich, daher klinische Diagnosestellung.
- Hohes Laktat (+ metabolische Azidose) korreliert mit Zyanid-Konzentration, evtl. auch erhöhtes CO-Hb korrelierend.
Checkliste Zyanide
- Hochdosierte Sauerstoffgabe, ggf. NIV/INV (analog zu CO-Intoxikation)
- Hydroxocobalamin (Cyanokit®) 5g iv. KI als KI über 15min (Kinder 70mg/kg; führt zu reversibler Rotfärbung von Haut, Schleimhaut und Urin)
- Ggf. repetitive Gabe (z.B. nach initialer präklinischer Gabe) bei erhöhtem Laktat bei Aufnahme oder falls Laktat 2h nach erster Gabe noch erhöht
- Bei Reanimation / Periarrest: Hydroxocobalamin 10g iv. (4 Amp)
- Natrium-Thiosulfat 50-100mg/kg iv. (fördert Zyanid-Abbau)
- Na-Thiosulfat und Hydroxocobalamin in getrennten iv.-Zugängen, sonst Ausfällung möglich
Pfefferspray und Tränengas
Reizstoffe - Hintergrund
Pfefferspray (Wirkstoff = Capsaicin) wird von Privatpersonen und Polizei angewandt. Wegen Beschränkungen durch Waffengesetz meist als „Tierabwehrspray“ gekennzeichnet.
Tränengas/CN-Gas (umgangssprachlicher Begriff für verschiedene Reizstoffe) wird von Polizei z.B. mit Tränengaskanistern („Granaten“) oder per Vernebelung via Wasserwerfer eingesetzt.
Symptomatik (je nach Ausmaß der Exposition)
- Reizung der Schleimhäute
- massiver Tränenfluss
- Husten bis zu Broncho- und Laryngospasmus
- Panikattacke
- hypertensiver Notfall
- Kollaps / Synkope
Checkliste Tränengas/Pfefferspray
- Eigenschutz! (Kleidungsstücke wahrscheinlich kontaminiert): Doppelte Handschuhe, Kittel, FFP2-Maske, Belüftung!
- Kleidungsstücke vorsichtig entfernen
- Auffällige Mengen von Pfefferspray (meist gelblich) an der Haut vorsichtig abtupfen; KEIN Reiben/Kratzen!
- Ausgiebiges Spülen (z.B. mit Wasser, NaCl 0,9% oder VEL) betroffener Haut & Augen bis Symptome nachlassen (siehe Nasenbrillen-Trick oben)
- Kontaktlinsen entfernen
- Symptomatische Therapie:
- z.B. Betamimetika-Inhalation + O2-Gabe bei Bronchospasmus)
Flusssäure
Flusssäure - Hintergrund
Vorkommen: Haushalt (Rostlöser), Industrie (Reiniger, Microchip-Produktion, Fluorid-Produktion)
Gefahr: Lipophil, rasche Resorption; dringt tief ins Gewebe ein, dort in der Tiefe dann Kolliquationsnekrosen (oft bei intakter Haut) sowie Bindung an Calcium und Magnesium = systemische Hypocalciämie (bis hin zu Kreislaufversagen)
Symptomatik: Starke Schmerzen (a.e. durch lokale Hyperkaliämie)
- Je geringer die Konzentration, umso höher die Latenz bis zur Symptomatik und umso weniger Oberflächenschaden sichtbar, teils Latenz >24h
- Bei hoher Konzentration (ab 50%) zusätzlich oberflächliche Verätzungen
- Systemische Symptomatik:
- Hypokalziämie, Hypomagnesiämie, Hypokaliämie
- Krampfanfälle, Vigilanzminderung
- Metabolische Azidose
- Hypotension, Schock
- Tachykardie, Arrhythmie, QT-Verlängerung
- Kreislaufstillstand mit Kammerflimmern oder Asystolie
- Ingestion: Übelkeit, Erbrechen bis zu oberer/unterer GI-Blutung
- Inhalation: Reizgas-Wirkung bis zu toxischem Lungenödem und ARDS
- Haut: Häufig initial wenige oberflächliche Läsionen; nach Latenz teilweise schwere Ulzerationen und Nekrosen, Schmerzen
- Auge: Schwere Augenverletzung möglich
- Calcium(gluconat) spielt zentrale Rolle bei Therapie
Checkliste Flusssäure (HF)
- Komplexe Intoxikation! Immer Rücksprache mit Giftnotruf!
- Selbstschutz! „Normale“ Nitril/Latexhandschuhe bieten keinen ausreichend Schutz → Chemikalien-Schutzhandschuhe nötig (in der Klinik z.B. in Chemo-Spillkit)
- Etwaig betroffene Kleidung (vorsichtig, Eigenschutz!) entfernen
- Suffiziente Analgesie z.B. Opioide, ggf. Regional-/Plexusanästhesie
- Systemische Therapie (und intensivmedizinische Überwachung) bei systemischer Symptomatik oder bei
- Inhalation/Ingestion von Flusssäure >60%
- Hautkontakt mit Flusssäure >50% ab 1% Körperoberfläche („1x Handfläche + Finger“)
- Hautkontakt jeglicher Konzentration ab 5% Körperoberfläche („5 Hände“)
- Systemische Therapie:
- Calciumgluconat 10% 20ml iv. KI
dann nach ionisiertem Ca-Spiegel (Messung in BGA, Ziel: hochnormal) - Magnesiumsulfat 10% 10ml (ca. 2mmol Mg) iv. KI
- NaBic 8,4% 1ml/kg iv. KI
- Dialyse erwägen
- Bei bedrohlichen Rhythmusstörungen eher kein Amiodaron wegen QTc-Verlängerung. Weitere medikamentöse Rhythmus-Therapie siehe Torsade de Pointes
- Calciumgluconat 10% 20ml iv. KI
- Zusätzlich spezifische Therapie je nach Lokalisation:
Ingestion HF - spezifische Therapie
- Sofort nach Ingestion: Induziertes Erbrechen im Ausnahmefall erwägen
- Evtl. Calcium-Lösung (1%) schluckweise trinken lassen, alternativ Milch
- Binnen 90min Magenspülung mit Absaugung - dabei Spülung mit Calciumgluconat 10% und anschließendem Belassen von 40ml Calciumgluconat 10% im Magen
Inhalation HF - spezifische Therapie
- Verneblung von Calciumgluconat 2,5-3% (pragmatisch: Calciumgluconat 10% 2ml + NaCl 0,9% 4ml), Wiederholung alle 4h
- Ggf. Corticoid-Spray
Haut HF - spezifische Therapie
- Entfernung aller Kleidungsstücke (vorsichtig, Eigenschutz!)
- 15min Spülung mit Wasser (oder Calciumgluconat 1% Lösung)
- Asymptomatisch, keine Schmerzen, kleine Fläche, geringe Flussäure-Konzentration:
- Calciumgluconat-Gel (2,5%) großzügig
Praxistipp falls Gel im Notfall nicht vorhanden (off label!):
30ml Ultraschallgel + 10ml Calciumgluconat 10% vermischen = „2,5% Gel"
- Calciumgluconat-Gel (2,5%) großzügig
- Symptomatisch (Schmerzen) oder Flusssäure ≥30%:
- Hautareal mit Calciumgluconat 10% unterspritzen (0,5ml/cm2 betroffener Haut):
- Im Gesicht: Calciumgluconat 5% (Verdünnung 1:1 mit NaCl 0,9%)
- Bei Fingern/Zehen: Pro Phalanx maximal 0,5ml
- Bei Nagelkontakt: Nagel großzügig entfernen, da Flusssäure Nagel durchdringt und Nagelbett massiv schädigen kann
- Stärkste Schmerzen, schwere Exposition Finger/Zehen:
- Intraarterielle Injektion:
- Calciumgluconat 5% 10ml (Verdünnung 1:1 mit NaCl 0,9%) sehr langsam über 20-30min über sicher in A. radialis (bei Fingern) liegendem Katheter injizieren
- Größere Nekrosen: Chirurgisches Debridement (OP)
- Intraarterielle Injektion:
Auge HF - spezifische Therapie
- Spülung, optimal mit spezieller Lösung für Flusssäure-Exposition der Augen (z.B. Hexafluorine®), falls verfügbar. Alternativ:
- Mind. 30min Spülung mit Wasser, NaCl 0,9% oder Vollelektrolytlösung
→ Spülung z.B. mit „Nasenbrillen-Trick“ (s. Grafik unten) - Calciumgluconat-Augentropfen (1%) 1 Tropfen bds. alle 2-3h
(falls nicht verfügbar ggf. als off-label Calcium-Gluconat 10% verdünnen (10ml 10% CaGlu + 90ml NaCl 0,9%) - Bei Blepharospasmus (Lidkrampf) zur Toleranz der Spülung: Lokalanästhesie
- Lokalanästhesie-Augentropfen (falls nicht vorhanden, ggf. als off-label Lidocain 1% eintropfen)
- Mind. 30min Spülung mit Wasser, NaCl 0,9% oder Vollelektrolytlösung
- Zeitkritische augenärztliche Vorstellung!
Methämoglobinämie
Cave: Übliche Pulsoxymetrie oft falsch hoch (kann MetHb nicht differenzieren)!
Methämoglobinämie - Hintergrund
Oxidierung von Fe2+ zu Fe3+ = Hämoglobin wird zu Methämoglobin und kann kein O2 binden. Nachweis mittels BGA (MetHb). Klinisch: Blut auffällig schlammig-braun gefärbt. Potentiell kann es zu Hypotonie (va. in Kombination mit PDE-5-Hemmern wie Sildenafil) kommen.
Ursachen (Auswahl):
- Nitrate / Nitrite:
- Natriumnitrit („Pökelsalz“, auch in „Suizid-Kits“ verkauft)
- Nitrate / Nitrite in Nahrungsmitteln (u.a. Gemüse) oder Drogen
- Frostschutzmittel
- Inhalative Nitrite („Poppers“ = Amylnitrit, Butylnitrit o.ä.): U.a. durch MSM konsumiert, führen rasch zu kurzzeitiger Vasodilatation, Sphinkterrelaxation und gesteigerter Gefühlsempfindung
- Lokalanästhetitka, u.a. Benzocain (Lutschtabletten, spezielle Kondome) sowie
- Drogen (z.B. Heroin, Kokain), die mit Lokalanästhetika versetzt wurden
- Antimalariamittel (Cloroquin, Hydroxcloroquin), Insektizide
Symptome bei (akuter, erworbener) Methämoglobinämie:
- MetHb 3-10%: ev. Zyanose, Übelkeit, Erbrechen, üblicherweise asymptomatisch (außer bei u.a. kardiovaskulären Vorerkrankungen)
- MetHb >10%: Zyanose, auffallende Braunfärbung Blut
- MetHb 20-50% Schwindel, Schwäche, Tachykardie, Dyspnoe,
- MetHb >50%: Lebensbedrohlich! Respiratorische Insuffizienz, Krampfanfälle, Vigilanzminderung bis Koma
- MetHb >70% meist letal.
Checkliste MetHb
Therapie ab MetHb 30% (oder ab 20% bei Symptomatik):
- Supportiv:
- Maximale Oxygenierung (100% O2-Gabe, ggf. NIV oder invasive Beatmung)
- Katecholamine bei Schockzeichen
- Antidot: Toluidinblau oder Methylenblau iv. bei symptomatischen Pat. + MetHb >20-30%:
- Toluidinblau 2(-4)mg/kg iv.
(ev. mit NaCl 0,9% verdünnen, via sicher intravenös liegendem Zugang über 5 min.)
- Stabil/wach: 1-2mg/kg langsam iv.
- Instabil/vigilanzgemindert: 4mg/kg iv.
- Methylenblau 1-2mg/kg iv.
(in 50ml G5% via sicher intravenös liegendem Zugang über 5 min.)
- Stabil/wach: 1mg/kg langsam iv.
- Instabil/vigilanzgemindert: 2mg/kg langsam iv.
- Oft rasche Besserung (binnen <30 Minuten) und MetHb Abfall (evtl. Bild einer „Pseudozyanose“ der Haut)
- Wiederholung nach 30-60min falls MetHb gleichbleibend oder steigend (Ziel: <30%)
- Toluidinblau 2(-4)mg/kg iv.
(ev. mit NaCl 0,9% verdünnen, via sicher intravenös liegendem Zugang über 5 min.)
- Ultima ratio: Austauschtransfusion oder Hyperbare Oxygenierung (Druckkammer; Hintergrund →GTUEM)
Umwelt: Pilze und Tierbisse
Pilze
Pilz-Vergiftung - Hintergrund
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen „echter“ (toxischer) Pilzintoxikation vs. „unechter“ Pilzintoxikation / Lebensmittelvergiftung (Reaktion auf verdorbene, nicht ausreichend verarbeitete Pilze). Auftreten <6h spricht eher für „unechte“ Vergiftung, bei Symptombeginn >6h nach Ingestion ist potenziell von schwerer Vergiftung auszugehen: dies dient nur grober Orientierung, da häufig Mischpilzgerichte gegessen werden!
Frühzeitige Identifikation wichtig, hierzu via Giftnotruf oder Leitstelle Kontakt zu pilzsachverständiger Person aufnehmen.
Grobe Faustregel: Röhrenpilze (an der Unterseite Röhrchen) meist nicht bedrohlich. Lamellenpilze: Potenziell schwere Vergiftungen möglich.
Checkliste V.a. "echte" Pilzintoxikation
z.B. bei gastrointestinaler Symptomatik ≥6h nach Ingestion und/oder V.a. Lamellenpilz
- Kontakt Pilzsachverständige:r (via Leitstelle, Giftnotruf oder →DGfM)
- Aktivkohle 0,5-1g/kg (max 50g) bei Ingestion <1h
- Bei DD Knollenblätterpilz: auch bei länger zurückliegender Ingestion (Tage), s. spezifisches Vorgehen unten
- Labordiagnostik inkl. Leberwerte, Gerinnung, BGA (Azidose?)
- Stationäre Aufnahme zur Verlaufskontrolle
- Gastrointestinales Pilzsyndrom („echte“ Intoxikation, ausgeprägte GI-Symptomatik):
- Symptomatische Therapie, Volumen- und Elektrolytsubstitution
- Spezifisches Vorgehen:
Amatoxin-Syndrom (Knollenblätterpilz)
mehrphasiger Verlauf (ähnlich wie Paracetamol-Vergiftung):
- 1.) 6-24h Latenz, dann wässrige Diarrhö, Erbrechen, Bauchkrämpfe (6-9-36h)
- 2.) Klinische Besserung für ca. 48h (hier bereits asymptomatischer Anstieg Leberwerte)
- 3.) Ab Tag 4: Leberversagen (Blutungszeichen, Hypotonie, hepatische Enzephalopathie)
Therapie:
- Repetitive Aktivkohlegabe (zwecks Unterbrechung enterohepatischen Amatoxin-Zirkulation): Aktivkohle 0,5g/kg (max 50g) alle 4h; falls nicht toleriert ggf. via Magensonde (bei rez. Erbrechen zusätzlich z.B. Ondansetron)
- Silibinin 5mg/kg über 2h iv., dann 4x tgl. 5mg/kg über 2h iv. (= 20mg/kg/24h).
- Dauer nach Rücksprache mit Giftnotruf je nach Phase der Intoxikation + Symptomatik - am effektivsten wenn binnen 24h verabreicht
Pantherpilz- / Fliegenpilzsyndrom
- Halluzinogenes Toxidrom, zusätzlich häufig GI-Symptomatik, wechselnde cholingere -anticholinerge Symptomatik; bis 12h andauernd
- Symptomatische Therapie, meist Benzodiazepine und Betreuung ausreichend (analog zu Agitation)
- Ggf. Atropin 0,5mg Boli iv. bei relevanter Bradykardie
Checkliste V.a. Pilzunverträglichkeit
z.B. Bauchkrämpfe, Erbrechen, Diarrhö <6h nach Ingestion +
kein Hinweis auf Konsum von toxischen Pilzen
- BGA, Labordiagnostik inkl. Leberwerte
- Symptomatische Therapie:
- Volumen- und Elektrolytsubstitution
Tierbiss allgemein
Wenn kein giftiges Tier: Siehe Spezielle Wunden - Tierbiss
Schlangenbiss
Nur zwei heimische Giftschlangen: Kreuzotter (Vipera Berus), Aspisviper (Vipera Aspis).
Giftschlagen - Hintergrund
Beide heimische Giftschlangen: Große, weit vorstehende Giftzähne, werden ausgefahren, der Unterkiefer klappt weg, dann werden Zähne in die Beute eingeschlagen. Unerheblich, ob ein oder zwei Zähne das Opfer treffen (ein oder zwei punktförmige Einstichstellen), Giftmenge ist nicht abschätzbar.
Bisse dieser Arten zeigen führend eine Lokalreaktion (Hämatotoxizität) mit Schwellung und häufig panikartigen Angstreaktionen, die das klinische Bild bestimmen. Todesfälle sind eine Rarität (z.B. Kreuzotter seit 1960 1 Todesfall in D bei anaphylaktischer Reaktion).
Allgemein gibt es keine generellen Vorschriften zur Haltung von Schlangen, d.h. es besteht die Möglichkeit, dass auch andere giftige Schlangenarten gehalten werden und ggf. zubeissen können.
Spezifische Wirkung heimische Giftschlangen
- Lokal: Schmerzen, Schwellung, Hämorrhagie (selten Nekrose)
- Bei „Treffer“ im Muskelgewebe: Rhabdomyolyse - ggf. bis Niereninsuffizienz
- CAVE: Kompartmentsydrom
- Systemisch (hämatotoxisch, neuro-, kardiotoxisch):
- Hypotonie, Tachykardie
- GI-Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerz)
- Hyperdynames Kreislaufversagen, Vasodilatation, Schock
- Allergische Reaktion bis Anaphylaxie
- Koagulopathie (Thrombozytopenie, Hyperfibrinolyse)
- Kann nach initialer Stabilisierung auch mehrere Wochen nach Biss erneut auftreten!
- Neurotoxizität (Hemmung an motorischer Endplatte) : Beginn mit Ptosis, absteigende Nervenlähmung mit resp. Insuffizienz + Krampfanfällen
Erhöhtes Risiko für schweren Verlauf bei:
- Biss im Bereich Oberkörper und Kopf, wegen Schwellung der oberen Atemwege
- Blutung im Bereich der Bissstelle = V.a. direkter „Treffer“ eines Gefäßes, dadurch kann es zu starken systemischen Wirkungen kommen
- Kinder + Vorerkrankte (ältere Patient:innen, kardiovaskuläre Erkrankungen etc.)
Checkliste Schlangenbiss
- Labor (inkl. Nieren- und Leberwerte, Gerinnung, CK)
- Tetanus-Status (wie bei „normaler“ Verletzung)
- Monitor-Überwachung + EKG
- Lokale Maßnahmen:
- Biss/Rötung anzeichnen, Umfang Extremität messen und Zeitpunkt dokumentieren
- Schnellstmögliche Entfernung von Ringen und Schmuck
- Hochlagerung, Kühlung, Immobilisierung (KEIN Abbinden!)
- Bei massiver Lokalreaktion und V.a. Kompartmentsyndrom evtl. Fasziotomie bzw. Abtragung lokaler Nekrosen
- Keine prophylaktische Antibiotikagabe (verbessert Outcome nicht)
- Systemische Behandlung:
- Behandlung wie Anaphylaxie (lokale Reaktion ist in der Notfallsituation nicht von Toxinwirkung zu unterscheiden)
- Bei protrahiertem Schock: Noradrenalin-Perfusor, ggf. auch Adrenalin-Perfusor
Antidot "European Viper Venom Antiserum"
- bei Bissen von insg. 6 Viper-Arten wirksam, insb. Kreuzotter und Aspisviper: Bei schwerer Symptomatik in Rücksprache mit Giftnotruf, nur in Zentren verfügbar)
- Nebenwirkungen:
- Anaphylaxie (akut), bis zum anaphylaktischen Schock
- „Serumkrankheit“ nach 6-14 Tagen (=Hypersensitivitätsreaktion auf artfremde Proteine)
- Dosierung (1 Ampulle = 10ml):
2 Ampullen (20ml) mit 500ml NaCl 0,9% verdünnen, über 1h iv. (wenn multiple Allergien bekannt sind, ggf. nur 50% der Dosis)
- Andere (exotische) Giftschlangen: Evtl. spezielles Serum notwendig (falls verfügbar)
- Telefonische Rücksprache mit →Serumdepot Berlin e.V. (Tel +49 30 5444 5989)
- Exakter lateinischer Name der Schlange wichtig (Patient:innen wissen diesen meist!)
- Telefonische Rücksprache mit →Serumdepot Berlin e.V. (Tel +49 30 5444 5989)
Kleinkinder: Gefährliche Substanzen
Kritischer Sonderfall Knopfzellbatterien - siehe Ingestion von Fremdkörpern.
Gefährliche Intoxikation bei Kleinkindern: "One Pill Kill"
Für Kleinkinder und Säuglinge können auch geringe Medikamenten- bzw. Substanzmengen potenziell lebensgefährlich sein. Unter Umständen kann eine einzige Tablette für einen letalen Ausgang ausreichen (der sog. „one pill kill“).
Übersicht über Auswahl von bereits in geringer Dosierung gefährlichen Substanzen:
Substanz | Kommentar |
---|---|
⍺2-Agonisten | 1-2 Tbl.: Hypotonie, Bradykardie, ZNS-Depression → Stationäre Überwachung, symptomatische Therapie |
Antipsychotika | Viele Substanzen ab 1 Tbl. bedrohlich (Vigilanzminderung). CAVE: oft Retardpräparate! → Stationäre Überwachung, symptomatische Therapie |
Babypuder | „Austrocknen“ der Atemwege möglich, initial Husten, dann oft symptomfreies Intervall bis 24h! → Stationäre Überwachung, 3-5mg/kg Prednisolon iv. |
Backofen-/ | Wenige ml können zu massiven Verätzungen führen → Notfall-Gastroskopie |
Betablocker | Insb. Propanolol ab 1-2 Tbl. gefährlich, auch bei anderen lipophilen Betablockern wie Bisoprolol, Carvedilol, Metoprolol, Nebivolol: → Stationäre Überwachung, spezifische Therapie siehe Betablocker-Intoxikation |
Calciumkanalblocker | 1-2 Tbl. bei Kindern <4 Jahren potenziell lebensbedrohlich → Stationäre Überwachung mind. 6h; bei Retardpräparat 24h; spezifische Therapie siehe Calciumkanalblocker-Intoxikation |
Ethylenglykol | Bei Kindern bis 3 Jahre bereits ein Teelöffel evtl. lebensbedrohlich. Rauschähnlicher Zustand nach Ingestion (älterer) Kühlpacks: V.a. Ethylenglykol-Intox. → Therapie siehe Toxische Alkohole |
Hydroxychloroquin / | Toxische Dosis Chloroquin ab 20mg/kg (1 Tbl. = 500mg). Primär ZNS-Symptomatik, Hypokaliämie. → (intensivmedizinische) symptomatische Therapie, ggf. Kohlegabe |
Kampfer in Tigerbalsam | Bei höheren Dosen (500-1000mg = 5ml = 1 Teelöffel Tigerbalsam) Krampfanfälle, Vigilanzminderung bis Koma → Ab 30mg/kg Kampfer mind. 3h Überwachung, keine Kohlegabe, symptomatische Therapie |
Knopfzellbatterien | Sehr schnell (binnen Stunden) Verätzungen bei Feststecken im Ösophagus möglich → Rasche Darstellung im Röntgen und notfallmäßige endoskopische Bergung, vorher bei Kindern >1J alle 10min 10ml (zwei Teelöffel) Honig po. (siehe Ingestion Fremdkörper) |
Knollenblätterpilz | Tödliche Dosis 0,1mg/kg (10kg Kind: 1/8 bis 1/6 Knollenblätterpilz potenziell letal) → Therapie siehe Knollenblätterpilz Intoxikation |
Kochsalz | Ab 0,3-0,5g/kg (ein Teelöffel bei Kleinkind bis 10kg) bereits lebensbedrohliche Hypernatriämien möglich → Sicherung Vitalfunktionen, G5%, Intensivmedizin (siehe auch Hypernatriämie) |
Methylsalicylat | Äquivalenzdosis x 1,4 (vgl ASS) → Symptomatik und Management wie ASS-Intoxikation |
Neodym-Magnete | Bei zwei Magneten oder Magnet + anderer metallischer Gegenstand: Anziehung = Gefahr von Darmwand-Nekrosen, -Perforation → Endoskopie bzw. chirurgische Entfernung |
Opioide | Methadon: ab 1-2 Tbl. potenziell schweres Opioid-Toxidrom, bis mehrere Tage andauernd → prolongierte Überwachung! Bei Hydromorphon >0,3mg/kg; → Min. 6h stationäre Überwachung; bei Retard länger |
Petroleum, | Wegen hoher Viskosität extrem hohes Aspirationsrisiko / Pneumonie / Pneumonitis → unbedingt Erbrechen vermeiden, mind. 2h Überwachung wenn asymptomatisch (sonst je nach Symptomatik) |
Sulfonyl-Harnstoffe | Nach 1 Tbl. schwere Hypoglykämien beschrieben → Stationäre Überwachung für mind. 8h nach Ingestion, ggf. intensivmedizinische Therapie nötig |
Trizyklische Antidepressiva | Ab 5mg/kg Überwachung. Ab 15mg/kg potenziell letal (1 Tbl. = 150mg) → Stationäre Überwachung (mind. 6h), Therapie siehe Trizyklika-Intoxikation |
Weiterführende Literatur und Links
Interessante Links (frei zugänglich)
- Toxdocs.de (Toxdocs)
- Deutsche Gesellschaft für Moykologie; Pilzsachverständige und Fallbeispiele (DGfM)
- Intoxikationen Behandlungsschemata, Antidotliste Schweiz (Tox Info Suisse)
- Leitlinie Kohlenmonoxidvergiftung (AWMF 2021)
- Kohlenmonoxidintoxikation (Nerdfallmedizin 2021)
- Leitlinie Extrakorporale Zirkulation ECLS/ECMO (AWMF 2020)
- Intoxikationen - Umgang mit Vergiftungen (Nerdfallmedizin 2018)
- Empfehlung für Einsatz mit Verdacht auf CO-Notfall in Räumlichkeiten (Deutscher Feuerwehr Verband 2012)
Literatur
- Matthiensen, U. Intoxikationen und Entzugssyndrome in der Notaufnahme. Notaufnahme up2date 06, 261–285 (2024).
- Marinowitz, R., Strube, J. & Schaper, A. Neue Psychoaktive Substanzen in der Notfallmedizin. Nervenarzt 95, 28–34 (2024).
- Hüser, C. & Hackl, M. SOP Unklare Intoxikation. Notaufnahme up2date 06, 125–129 (2024).
- Struckmeyer, M. S., Katthän, A., Nordmeyer, S. D. & Schaper, A. Drogennotfälle bei Kindern und Jugendlichen – ein Update. Notfallmedizin up2date 18, 197–214 (2023).
- Hüser, C., Lülsdorff, R. H. & Hackl, M. Toxidrome in der Notaufnahme. Notaufnahme up2date 05, 273–288 (2023).
- Barth, H., Ernst, K. & Papatheodorou, P. Toxikologie für Einsteiger. (2023).
- Fandler, M., Gotthardt, P. & Böhm, L. Diagnostik und Therapie bei Kohlenmonoxidvergiftung. Notaufnahme up2date 04, 208–210 (2022).
- DIVI. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Kohlenmonoxidvergiftung. AWMF (2021).
- DGTHG. S3-Leitlinie Extrakorporale Zirkulation (ECLS / ECMO), Einsatz bei Herz-und Kreislaufversagen. AWMF (2020).
- Nelson, L. et al. Goldfrank’s Toxicologic Emergencies. (McGraw Hill, 2019).
- Zellner, T. et al. The Use of Activated Charcoal to Treat Intoxications. Dtsch. Ärzteblatt Int. 116, 311–317 (2019).
- Wetterling, T. & Junghanns, K. Alkoholintoxikierte in der Notfallmedizin. Med. Klin. - Intensiv. Notfallmedizin 114, 420–425 (2019).
- National Capital Poison Center. Battery Ingestion Triage and Treatment Guideline. poison.org (2018).
- Stich, R., Felgenhauer, N., Mayr, M., Zobel, S. & Eyer, F. Symptome, Diagnostik und Therapie von Schlangenbissen. Notf. Rettungsmedizin 17, 539–550 (2014).