1. Leitsymptome
  2. Kopf und Neuro

Psychiatrische Notfälle

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Killer

Red Flags

  • Offensichtliche Eigen- / Fremdgefährdung
  • Wechselnder Bewusstseinszustand
  • Unerklärte Auffälligkeiten der Vitalwerte (insb. Tachypnoe)

Erste Schritte

  • SSSS (4S-Schema)
  • Akute Fremdgefährdung?
    • Akute Agitation: Ursache evaluieren (s. "FIND ME" unten)
    • Weitere Hilfe bzw. Polizei notwendig?
    • Fixierung notwendig?
    • Fluchtgefahr?
    • PsychKG prüfen
  • Akute Selbstgefährung?
  • Akute somatische Erkrankung?
    • Differenzierung organische oder nicht-organische Ursache
    • Bei V.a. Delir / qualitativer Bewusstseinsstörung s. Verwirrung / Delir (vor allem bei zunehmendem Alter / Erstdiagnose erwägen)

Tipps

  • Psychisch Erkrankte haben häufig mangelhafte medizinische Anbindung, daher auch nach nicht offensichtlichen, behandlungspflichtigen Verletzungen/ Erkrankungen fragen/suchen

Fokus Präklinik

  • Erste Schritte, insb.:
    • Selbstschutz beachten, Fluchtweg offen halten (SSSS - 4S-Schema)
    • Somatische Genese? (Intoxikation, Hypoglykämie, Sepsis? - Killer aktiv erwägen)
  • Spezifische Therapie fokussiert
    • Plötzliche Psychose ohne psych. Vorerkrankungen oder Drogenkonsum: Immer High-Risk Situation
    • CAVE "exzitiertes Delir": Rücksprache mit Polizei - prolongierte Fixierung (insb. Bauchlage) möglichst vermeiden!
      • Kritisch: Sedierung mit Esketamin mind. 1-2mg/kg im.
  • Transportziel je nach Einschätzung somatisch/psychiatrisch
    • Erstmaliges Auftreten: Primär somatische Vorstellung / Notaufnahme

Agitation / akute Eigen- oder Fremdgefährung

Checkliste Agitation + akute Gefahr 

  • Selbstschutz!
  • Talk down: Abstand halten, ruhig bleiben, Kontakt aufbauen, Regeln und Grenzen setzen, aber (einfache) Entscheidungsmöglichkeiten anbieten
    • Möglichst auf das Erleben der Patient:innen eingehen, zunächst kein Widerspruch
  • Wenn erforderlich: Frühzeitig Polizei hinzuziehen!
    • Zahlenmäßige Überlegenheit herstellen, nicht zu nahe kommen, Fluchtweg freihalten
    • Pat. von gefährlichen Gegenständen (Messe, Spritze etc.) fernhalten
    • Rechtlicher Hintergrund / Unterbringung siehe Unterbringung / PsychKG unten
  • Falls medikamentöse Notfallsedierung nötig, s. „Fixierung / Notfallsedierung“ unten
Anamnese (soweit möglich, ggf. Fremdanamnese) + Untersuchung
  • Dauer der Symptome (erstmalig oder vorbekannt?)
  • Vorerkrankungen?
    • Psychiatrisch (ggf. bereits Vorbehandlung / ambulante Anbindung?)
    • Somatisch (Tumor, SHT, metabolisch?)
  • Genaue Beschwerden:
    • Halluzinationen (Stimmen, Geräusche, visuelle Erscheinung)
    • Gedanken geordnet? (kann Gespräch zu einem Thema führen)
    • Stimmungslage? (stabil/schwankend, fröhlich/depressiv, aggressiv?)
  • (Antipsychotische) Dauermedikation?
  • Soziales Umfeld / Betreuung?
Akut-Diagnostik
  • Monitoring (selten notwendig - kann aber geeignet sein, um unbemerktes Verlassen der Notaufnahme zu bemerken)
  • Labor (BGA (Blutzucker & Elektrolyte), Entzündungswerte, Schilddrüse, Leberwerte, Alkohol, ggf. Drogenscreening)
  • EKG (Durchführung oft erschwert)
    • Sinnvoll zur QTc-Bestimmung (QTc↑ bei vielen antipsychotischen Medikamenten)
  • CCT/-MRT
    • Bei jeder unklaren, erstmalig aufgetretenen Psychose zur Abklärung einer akuten intrakraniellen Ursache
    • CT bei Trauma / fokal neurologischem Defizit / Verdacht auf ICB
    • MRT bei Verfügbarkeit und Erstdiagnose erwägen

Weiteres Management

  • Bei Vorliegen einer organischen Ursache muss diese entsprechend weiterbehandelt werden.
  • Bei nicht-organischer Psychose muss ein Risiko-Assessment erfolgen, ob eine ambulante Versorgung möglich sein kann:
    • CAVE: Keine ambulante Versorgung bei V.a. postpartale Psychose ohne psychiatrische Evaluation

Ursachen für akute Agitation

FIND MEUrsachensuche bei Agitation
F

Funktional (psychiatrische Erkrankungen z.B. Demenz, Schizophrenie)

I

Intoxikation (+ Medikamentennebenwirkungen)

N

Neurologisch (postiktal, intrakranielles Geschehen)

D

Drogen (z.B. Alkohol, Cannabinoide, Amphetamine)

M

Metabolisch (z.B. Elektrolytentgleisung, Hypo-/Hyperglykämie)

E

Endokrinologisch (z.B. Hyperthyreose)

Fixierung im Notfall

Neben Vermeidung von Eigen-/Fremdgefährdung: Parallel Ursachensuche und -Behandlung.
Keine Fixierung ohne Überwachung, Monitoring und (gute!) Dokumentation!

Physische Fixierung - praktisches Vorgehen
  • Fixierung ist Teamaufgabe!
  • Vor der Fixierung im Team (auch mit beteiligter Polizei) die jeweiligen Aufgaben zuweisen
    • Jede Person nimmt die ihr zugewiesene Extremität und hält diese fest: Vier Extremitäten - 4 Personen.
    • Die fünfte Person ist für die Fixiergurte zuständig und führt die Fixierung durch.
    • Wenn eine sechste Person verfügbar ist, kann diese den Kopf festhalten.
  • Erst wenn Pat, fixiert ist, kann bei Bedarf die Notfallsedierung folgen (z.B. mittels Midazolam intranasal), dies macht dann die für den Kopf zuständige Person
  • Bauchlagerung möglichst vermeiden (Asphyxiegefahr)
  • Nach Fixierung engmaschige Überwachung / Monitoring, ggf. inkl. repetitive Blutgase bei hyperaktivem Delir
  • Nach Fixierung umgehend und je nach Landesgesetzen richterliche Zustimmung einholen

Sedierung im Notfall

  • Voraussetzungen:
    • Freiwillige Einnahme ist immer vorzuziehen!
    • Vor Notfallsedierung muss physische Fixierung sichergestellt werden
    • ggf. Sauerstoffgabe via Maske (= improvisierter Spuckschutz, Therapie etwaiger Hypoxie, prophylaktische Präoxygenierung)
      • Bei Einsatz von Sedativa immer auf potenzielle Atem- und Kreislaufinsuffizienz vorbereitet sein
    • Auch zwangsweise Sedierung ist eine Zwangsmedikation, gute Begründung und Dokumentation ist wichtig!

Checkliste Sedierung im Notfall

  • Medikamente (Dosis immer individuell anpassen!)
    • Leichte bis moderate Agitation, erhaltene Kooperation
      • Lorazepam expedit 1-2,5mg po. (Wirkeintritt auch bei Expedit-Form erst nach 30-40 Min.)
      • Insb. bei älteren Pat. Benzodiazepine wegen Nebenwirkungsprofil möglichst vermeiden, Therapievorschläge s. Delir
    • Schwere Agitation, keine Kooperation
      • Kein iv.-Zugang verfügbar: Midazolam 5-10mg in.
        • (max. 1ml pro Nasenloch; bei Gabe anderes Nasenloch zuhalten. Insb. unter Drogeneinfluss teils deutlich höhere Dosierungen zur adäquaten Sedierung notwendig (15-30mg in. und mehr) - bei fortbestehender Agitation nach 5 Min. weitere 5-10mg Midazolam nachgeben)
      • iv.-Zugang verfügbar: Midazolam 3-5mg Boli iv. oder Propofol 20-30mg Boli iv.
        Dosis nach Vigilanz anpassen, vollständiges Monitoring, im Verlauf ggf. Perfusor
      • Alternativ: Haloperidol 5-10mg im.
    • Kritische Notfallsituation, kein iv. Zugang verfügbar, sofortige Sedierung notwendig:
      • Esketamin 1-2mg/kg im. (Ketamin 2-5mg/kg im.)
      • Auf Atemwegssicherung vorbereiten, engmaschige Überwachung

Delir

Fluktuierende Orientierungsstörung, Verlangsamung, in einigen Fällen optische Halluzinationen sowie vegetative Dysregulationen. Hohe Mortalität ohne Behandlung!

Einteilung
  • Hypoaktives Delir
    • Hypoaktives Delir ohne Halluzinationen
    • Hypoaktives Delir mit Halluzinationen
  • Hyperaktives Delir
  • Hyperaktives Delir ohne Halluzinationen
    • Hyperaktives Delir mit Halluzinationen

Details zur Abklärung bei V.a. Delir und unklarer Verwirrung siehe Schwäche, Verwirrung und Delir

Alkohol-Entzugsdelir

Entsteht oft 4-5 Tage nach dem letzten Alkohol-Konsum und ist meist ein hypoaktives Delir mit Halluzinationen, teils auch aber hyperaktives Delir mit oder ohne Halluzinationen.

Frühzeitig nach Klinik (Tremor, Unruhe, Tachykardie, Hypertonie) therapieren! Offen und wertungsfrei nach Entzugssymptomen fragen.

Checkliste Alkoholentzug / Entzugsdelir

  • Hyperaktives Delir / deutliche Entzugssymptomatik:
    Benzodiazepine
    • z.B. Lorazepam 2,5mg /8h po. + 1mg po. bei Bedarf
      • falls po. anfangs nicht möglich, initial iv.-Gabe
        z.B. Lorazepam 1-2mg iv. oder Midazolam 2-4mg iv.
    • Anpassung Dosis nach Bedarf
  • Delir mit Halluzination: Antipsychotika
    • z.B. Risperidon 1mg /12h po. oder Haloperidol 2mg /12h po.
  • Allgemeine Therapie:
    • Vitamin B1 (Thiamin) 100mg iv./24h oder 100mg po./8h
    • Ausgleich von Elektrolyten (z.B. Magnesium 100mg po./8h)
    • Wenn Entzugskrämpfe / Epilepsie bekannt: Oxcarbazepin 300mg/12h po.
  • Schwere Symptomatik (ausgeprägtes Delir):

Sonderfall "Agitiertes Delir"

Unterschiedliche Bezeichnungen (u.a. hyperaktives Delir mit schwerer Agitation, exzitiertes Delir (engl. "excited delirium") / teils unscharfe Abgrenzung zu anderen Delirformen.
Vital bedrohliche Kombination aus Agitation, massiv gesteigertem Stoffwechselumsatz und körperlicher Anstrengung bei einer physischen Fixierung (häufig in Zusammenhang mit Drogenkonsum).

Hypothese: Eine bestehende metabolische Azidose mit initial (teilkompensierter) Hyperventilation kann z.B. durch Sedierung mit atemdepressiven Medikamenten / Fixierung (insb. Bauchlage) rasch dekompensieren mit Gefahr eines Kreislaufstillstands, dieser wird in der Situation zudem potenziell spät erkannt.

Risikozeichen (Trias):
(v.a. in Kombination mit mögl. Drogenabusus)

Checkliste V.a. "Exzitiertes Delir"

  • Sedierung mit Esketamin im. (siehe Notfallsedierung), meist Unterstützung durch Polizei, etc. notwendig - Prozedere vorab absprechen
  • Prolongierte Fixierung - insb. in Bauchlage - UNBEDINGT vermeiden (Gefahr der Asphyxie)
  • Frühzeitig BGA (im Verlauf dann Labor, inkl. CK)
  • Falls invasive Beatmung nötig, initiale Hyperventilation
  • Frühzeitig hochdosiert Sauerstoff (Maske mit Reservoir, ggf. auch als Spuckschutz)

"Psychose" - Paranoid-halluzinatorische Symptome

Akute Psychose = Psychotische Symptome wie Halluzinationen, Wahn, wahnhaft getriebenes bizarres Verhalten (qualitative Bewusstseinstrübung mit Verlust des Realitätsbezuges).

Die Unterscheidung zwischen „organischer“ und „nicht-organischer“ Psychose ist wichtig für die weitere Behandlung.
Bei organisch bedingten Psychosen muss zuerst die Ursache kausal therapiert werden; zusätzlich wird ein Antipsychotikum gegeben. Bei eigenständigen psychiatrisch bedingten Psychosen wird direkt psychiatrisch weiterbehandelt.

Hinweise auf organische Ursache einer Psychose
  • Erstmaliges Auftreten im späten Erwachsenenalter (Alter >40 Jahre)
  • Abwesenheit einer psychiatrischen Grunderkrankung
  • Drogen-/Alkoholabhängigkeit
  • (Neue) Einnahme von Medikamenten mit psychoaktiven Nebenwirkungen
  • Bekannte strukturelle Hirnläsion (z.B. Tumor / Z.n. SHT)
  • Vorerkrankungen (insb. Stoffwechselerkrankungen)
  • Plötzliche Symptommanifestation mit fluktuierendem Charakter (s. Delir)
  • Fieber/Infektion (insb. bei alten Menschen)
  • Malnutrition (Vitaminmangelzustände)

Checkliste Psychose

  • Agitation/akute Eigen- oder Fremdgefährdung: Selbstschutz!
    (s. Agitation)
  • Anamnese
    • Überblick über die Situation und das Erleben des Pat. bekommen („Was geht denn hier gerade vor?“)
    • Konkretes Erfragen von Halluzinationen („Hören Sie Stimmen, die zu Ihnen sprechen?“ „Sehen Sie ungewöhnliche Dinge?“)
    • Erfragen von Wahn („Geht etwas gegen sie vor? Ist da etwas Gefährliches im Gange gegen Sie?“
    • Erfragen von Suizidalität („Haben Sie Gedanken, sich etwas anzutun?“)
  • Untersuchung (Hinweis auf körperliche Erkrankung, die das psychotische Krankheitsbild erklären könnte)
    • Körperliche Untersuchung
    • Labor inkl. BGA, Entzündung, Schilddrüse, Leber, Alkohol
    • EKG (QTc-Zeit?)
    • cCT/-MRT: Bei jeder unklaren, erstmalig aufgetretenen Psychose
  • Benzodiazepine initial bei ausgeprägter Agitation
    CAVE: Benzodiazepine bei geriatrischen Patient:innen delirfördernd!
    • Lorazepam 1-2,5mg po. (oder falls iv. nötig z.B. Midazolam 5mg in./1,5-3mg iv.)
  • Antipsychotika:
    • Risperidon 1-2mg po.
    • Quetiapin 25mg po. (möglich bei M. Parkinson)

Suizidalität

Hintergrund

Suizidalität beschreibt einen Zustand, der die gezielte Selbsttötung gedanklich thematisiert. Der Suizidversuch ist ein Verhaltensablauf, von dem der/die Patient:in annimmt, dass dieser zur Selbsttötung führen wird. Nach einem Suizidversuch steht zunächst die Versorgung der Verletzungsfolgen im Vordergrund, unmittelbar im Anschluss muss dann eine Evaluation bzgl. fortbestehender Suizidalität und ggf. eine psychiatrische Weiterbehandlung organisiert werden.

Prüfung der Suizidalität:

  • Verdacht sollte bei Vorliegen offen und wertungsfrei angesprochen werden.
  • Jede Suizidäußerung und jeder Suizidversuch muss ernst genommen werden!
  • Suizidalität kann anhand von Risikofaktoren und protektiven Faktoren abgeschätzt werden. Für eine abschließende und rechtssichere Einschätzung ist jedoch eine psychiatrische Vorstellung notwendig.
Hochrisiko-Faktoren
  • Verlust rationalen Denkens
    • Psychose, Agitation, lähmende Angst
  • Vorstellung des Suizids
  • Vorbereiteter oder konkreter Plan
    • Konkrete Planung des Suizids stellt eine Red-Flag dar. Relevant ist die Selbsttötungsabsicht, nicht die Art der Durchführung.
Protektive Faktoren
  • Soziale Unterstützung
    • Familiäres Umfeld, Freundeskreis (intakte Ehe mit Kindern gilt als besonders protektiv)
  • Zukunftsorientierung
    • Konkrete Planung für zukünftige Ereignisse
  • Therapeutische Anbindung
    • Offenheit für eine Therapie und Wunsch nach dieser
Sonstige Risikofaktoren
  • Auslöser
    • Akutes Ereignis, schwerer Verlust (Job, Unterstützung, Beziehung, Finanzen)
  • Alter (Häufung zwischen 15-24 Jahren und >65 Jahren)
  • Zugang zu Waffen/Giften/Medikamenten?
  • Bereits stattgehabter Suizidversuch
  • Substanzmissbrauch
  • Psychiatrische Behandlung
  • Depression/Hoffnungslosigkeit
  • Schwere Erkrankung
  • Mangelnde soziale Unterstützung (subjektive Wahrnehmung des/der Pat. zählt)

Phasenmodell der Suizidalität:

  • Phase 1: „Lebensüberdrussgedanken“ bzw. passive Todeswünsche
  • Phase 2: Konkrete, aktive Suizidgedanken ohne bisherige Planungen
  • Phase 3: Aufdrängende Suizidgedanken, konkrete Planungen, Vorbereitungen

Vorgehen:

  • Wichtig ist das Erkennen einer Suizidalität und das offene Ansprechen!
  • Bei Hinweisen auf eine akute Suizidalität (stattgehabter Suizidversuch / ernsthafte Äußerung) muss von einer Eigengefährdung ausgegangen werden und eine psychiatrische Vorstellung erfolgen.
  • Beim Ablehnen einer psychiatrischen Vorstellung muss diese nach Rücksprache mit dem/der diensthabenden Psychiater:in ggf. auch unter Zwang entsprechend der jeweiligen Landesgesetze erfolgen (siehe Unterbringung / PsychKG unten).

Stupor / Katatonie 

Definition:

  • Katatonie: "Massive „Verkrampfung“ des Körpers“
    Gefahr des plötzlichen (fremdaggressiven) Raptus. Unterform des Schizophrenie
  • Stupor: „Hören & sehen alles, können nichts machen“
    (oft angespannt = erhöhte Herzfrequenz/Blutdruck). Ein Zustand, der bei schizophrenen Pat. auftreten kann

Wichtige Differenzialdiagnose: Maligenes neuroleptisches Syndrom (Bewusstseinstrübung, Muskelstarre, Hyperthermie und vegetative Entgleisung)

Checkliste Stupor / Katatonie

  • Anamnese
    • Bekannte Psychose? Antipsychotische Medikation - wie lange
  • Diagnostik
  • Therapie
    • Stupor: Benzodiazepin hochdosiert (z.B. Lorazepam 2,5mg p.o.)
    • Katatonie: Antipsychotikum (Haloperidol 5mg im.) + evtl. Benzodiazepin (Midazolam 1-3mg in./im.

Akute Manische Episode

Definition:

  • Affekt: Reizbarkeit, gehobene Stimmung, Distanzlosigkeit, Affektlabilität
  • Antrieb: Unruhig, Hyperaktiv
  • Teils kreisende Gedanken mit Ideenflucht und Rededrang

Therapie: 

  • Benzodiazepin (Lorazepam 2,5mg p.o. oder Midazolam 1-3mg in./iv.
  • Ggf. Antipsychotikum (z.B. Risperidon 1-3mg po.)
  • Psychiatrisch im Verlauf antimanische Medikation (z.B. Lithium, bei ♂︎ Valproat oder Carbamazepin)

Angstzustände / Depression

Anamnese + Fremdanamnese: 

  • Aktuelle Symptomatik? (Depressive Stimmung, Interessensverlust, Antriebsmangel)
  • Suizidalität?
  • Aktuelle Medikation?

Therapie: 

  • Verbale Krisenintervention
  • Wenn möglich ambulante Behandlung vermitteln
    • ggf. stationäre Aufnahme in zuständige psychiatrische Klinik
  • Wenn nötig, jedoch zurückhaltend: Benzodiazepine (z.B. Lorazepam 1-2,5mg p.o.)
  • Ggf. Anbindung über psychosozialen Krisendienst (s. Notfallnummern)

Hyperventilation

Wichtig: Unterscheidung von Tachypnoe als Begleitsymptom einer potentiell kritischen Erkrankung (z.B. Schock, Sepsis, Lungenembolie) von Hyperventilation / Hyperventilationssyndrom als primäre Problematik.

Leitsymptom meist Dyspnoe - mehr Details siehe Dyspnoe - Hyperventilation

Akute Belastungsreaktion

Eine vorübergehende psychische Reaktion auf schwere körperliche oder emotionale Belastungen kann zu einer akuten Belastungsreaktion führen.

Da in der Notaufnahme Patient:innen und Angehörige häufiger mit schwerwiegenden Ereignissen konfrontiert werden, sollte ein grundsätzliches Verständnis und Konzept für Behandlungsmöglichkeiten und -angebote bestehen.

Symptome:

  • Akut
    • Dissoziative Symptome:
      • Gefühl der „Betäubung“, Amnesie bzgl. des traumatischen Ereignisses, dissoziativer Stupor
    • Vegetative Symptome (z.B. Tachykardie, Schwitzen, Übelkeit)
    • Schwankende Affekte (Trauer, Wut, Reizbarkeit, Aggression, Verzweiflung, Angst)
  • Im Verlauf
    • Flashbacks und Albträume
    • Übererregbarkeit (Anspannung, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Reizbarkeit)
    • Sozialer Rückzug, Suizidalität, psychotische Symptome

Vorgehen/Betreuung: Ziel in der Notaufnahme sollte die Identifikation von gefährdeten Personen sowie das Angebot  und die Organisation weiterer Hilfen sein.

Generell:

  • Vermittlung von Sicherheit
    • für sichere und ruhige Umgebung sorgen
      = Schutz vor Außenreizen, Presse und ggf. auch Polizei
  • Gesprächs-/Betreuungsangebot
    • Beruhigen und entlasten
    • Trost spenden, Zulassen von Emotionen, Mut machen, auf Grundbedürfnisse eingehen
    • auf Wunsch Angehörige informieren/holen
  • Fördern von Selbstwirksamkeit (z.B. kleine Aufgaben geben) und Kontrolle

Bei Bedarf:

  • Hinzuziehen psychosozialer Notfallhilfe/Fachkräfte 
    • z.B. Psychosomatik, Psychiatrie, Kriseninterventionsteam
  • Betroffene auf Informationsmaterial/-möglichkeiten bzgl. traumatypischer Symptome, Verläufe und Therapien hinweisen

Medikation:

  • Medikation zur Beruhigung möglichst vermeiden!
  • Nur in Ausnahmefällen Benzodiazepine verabreichen (vermindern Traumaverarbeitung und begünstigen eher posttraumatische Belastungsstörung)

Akute Belastung im eigenen (Notaufnahme-)Team

  • Pause anbieten!
  • Probleme/Gefühle offen ansprechen
  • Ansprechpartner für weitere Hilfe z.B. klinikinterne Strukturen (Peer Support Systeme) oder nationale Projekte wie →EMPTY Projekt der YoungDGINA oder →PSU Akut Helpline
  • Hilfreich kann ev. nach belastenden Situationen / Einsätzen auch ein "Hot Debrief" (direkt nach der Situation) sein; auch zur Identifikation von strukturellen Problemen / Verbesserungsmöglichkeiten

Akute Belastung im eigenen (Notaufnahme-)Team

  • Pause anbieten!
  • Probleme / Gefühle offen ansprechen
  • Ansprechpersonen für weitere Hilfe z.B. klinikinterne Strukturen (Peer Support Systeme) oder nationale Projekte wie →EMPTY Projekt der YoungDGINA oder →PSU Akut Helpline vermitteln
  • Hilfreich kann nach belastenden Situationen / Einsätzen auch ein "Hot Debrief" sein; auch zur Identifikation von strukturellen Problemen / Verbesserungsmöglichkeiten

Debriefing

Wichtig ist beim Debriefing (der "Nachbesprechung") eine sichere, vertrauensvolle Umgebung in der hierarchiefrei über den aktuellen Fall diskutiert werden kann. Optimal wird das ganze involvierte Team (inkl. Azubis und Praktikant:innen) ins Debriefing eingebunden.

Grundlagen "Hot Debrief" vs. "Cold Debrief"

Folgend wird das "Hot Debrief" (direkt nach einem Einsatz / Fall) besprochen.

Das strukturierte "Cold Debrief" wird in der Regel mit mehreren Tagen Abstand und möglichst allen Beteiligten absolviert. Hier können verschiedene andere Institutionen / Abteilungen (Leitstelle, Rettungsdienst, Notaufnahme, Intensiv, Feuerwehr... etc.) involviert werden.

Ein mögliches Schema für den Inhalt eines Hot Debriefs lautet "STOP":

STOPHot Debrief nach belastenden Situationen
S

Summary: Fall zusammenfassen (ggf. erzählen auch Teammitglieder kurz, was Sie jeweils getan haben)

T

Things that went well: Was hat gut funktioniert, warum lief es gut

O

Opportunities to improve: Was könnte beim nächsten Fall / Einsatz verbessert werden?

P

Point to action, key learnings: Wer kümmert sich konkret um welche Verbesserung / Veränderung, was sind die zentralen Lernpunkte.

Unterbringung

Bei akuter Fremd- oder Eigengefährdung kann eine Unterbringung in eine psychiatrische Abteilung notwendig werden.

PsychKG (Deutschland)

Die Regelungen in Deutschland sind bundeslandspezifisch in den jeweiligen "PsychKG-Gesetzen" (Psychisch-Kranken-Gesetze) und oft im Detail sehr unterschiedlich. Die DGPPN bietet auf ihrer Website eine →Übersicht zum PsychKG nach Bundesland.

UbG (Österreich)

In Österreich gilt das →Unterbringungsgesetzt (UbG) als Bundesgesetz.

FU (Schweiz)

In der Schweiz wird die sogenannte "Fürsorgerische Unterbringung" (FU) im →Schweizerischen Zivilgesetzbuch ab Artikel 426 geregelt.

Interessante Links (frei zugänglich)
Literatur
  • Christ, M. & Nickel, C. H. „Medical Screening“ von Notfallpatienten mit psychiatrischen Symptomen. Notaufnahme up2date 05, 85–100 (2023).
  • Rentrop, M. & Zwanzger, P. Angst, Erregung, Suizidalität – Psychiatrische Notfälle im Allgemeinkrankenhaus. Notaufnahme up2date 04, 405–423 (2022).
  • Weber-Papen, S. & Schneider, F. Rechtliche Aspekte bei psychiatrischen Notfällen. Notaufnahme up2date 3, 171–184 (2021).
  • Brazil, V. & Williams, J. How to lead a hot debrief in the emergency department. Emerg. Med. Australas. 33, 925–927 (2021).
  • DGN. S1-Leitlinie Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir. AWMF (2020).
  • Klimovitskaya, E., Hentschel, V. & Müller, H. Suizidalität und Suizidprävention. Notaufnahme up2date 2, 403–420 (2020).
  • Gilmartin, S., Martin, L., Kenny, S., Callanan, I. & Salter, N. Promoting hot debriefing in an emergency department. BMJ Open Qual. 9, e000913 (2020).
  • DGPPN. S2k-Leitlinie Notfallpsychiatrie. AWMF (2019).

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