1. Leitsymptome
  2. Reanimation und Allgemeines

Sepsis

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Killer

Sepsis selbst ist ein Killer, besonders gefährdet sind:

  • Immunsupprimierte Patient:innen (z.B. viele onkologische Pat.)
  • Z.n. (funktionelle) Splenektomie
  • Schwer vorerkrankte / ältere Pat.

Bei Hyponatriämie / Hypoglykämie (bzw. entsprechende Vorerkrankungen) auch erwägen: Dekompensierte Hypothyreose, Addison Krise

Red Flags

  • Tachypnoe
  • Vigilanzminderung
  • (beginnende) Marmorierung
  • Schockzeichen (z.B. Laktaterhöhung, Tachykardie, Hypotonie)

Erste Schritte

  • Verdacht äußern!
  • Möglich schnell iv.-Breitbandantibiose (innerhalb von 60 min.) z.B. Piperacillin/Tazobactam 4,5g iv. (+/- Ciprofloxacin 400mg iv.)
  • Fokussuche (Akronym “LUCCAASS”)
    • Falls möglich, schnellstmögliche Sanierung (chirurgisch bzw. einliegende Katheter entfernen)
  • Volumen: 20-30ml/kg VEL in den ersten 3h (falls Pat. schockig/hypoperfundiert)
  • Bei Hypotonie frühzeitig Noradrenalin-Perfusor beginnen
    • ggf. vorab PushDose Pressor (Noradrenalin 10-20µg iv. Bolus) zur ersten Stabilisierung
  • Kulturgewinnung (Blutkulturen, Urin etc.), solange Antibiose dadurch nicht verzögert wird

Tipps

  • Die Prognose der Sepsis wird mit jeder Stunde ohne Therapie schlechter!
  • Besonders gefährdet: Immunsupprimierte Patient:innen insb. in Neutropenie nach Chemotherapie, Z.n. Splenektomie ("OPSI"). Hier gilt bereits geringes Fieber/ subfebrile Temperaturen oder reduzierter Allgemeinzustand potentielles Sepsis-Symptom!
  • Sepsis in Kurzform: „Hit hard and early!“ → Blutkulturen & Antibiose + Kreislaufstabilisierung + Fokussuche
  • Marmorierung ("Mottling") fällt meist zuerst an den Knien auf.

Fokus Präklinik

  • Red Flags prüfen
  • Erste Schritte, insb.:
    • Zugang, Volumengabe bei Hypotonie/Schock
  • Transportziel: Klinik mit kompetenter Intensivmedizin / nichttraumatologischem Schockraum
    • Voranmeldung!
    • Optimal: Etwaige Vor-Antibiose erheben (was + wann eingenommen), alte Arztbriefe (vorherige Keime und Antibiose) mitnehmen

Screening

qSOFA (quick sequential organ failure assessment)

Bei V.a. Infekt + 2 qSOFA-Kriterien immer aktiv an Sepsis denken

  • AF ≥22/min.
  • GCS <15 (verändertes Bewusstsein/reduzierte Vigilanz)
  • Blutdruck (systolisch) ≤100mmHg
NEWS (National Early Warning Score)

Parameter

3

2

1

0

1

2

3

Atemfrequenz

≤ 8

9-11

12-20

21-24

≥ 25

spO2 %

≤ 91

92-93

94-95

≥ 95

O2-Bedarf

JA

nein

Temperatur °C

≤ 35

35,1-36,0

36,1-38,0

38,1-39

≥ 39,1

RRsyst mmHg

≤ 90

91-100

101-110

111-219

≥ 220

HF /min

≤ 40

41-50

51-90

91-110

111-130

≥ 131

Vigilanz

Wach, orientiert

gemindert*

* Reaktion nur auf Ansprache, Schmerzreiz oder keine Reaktion

Interpretation:

  • ≥5 Punkte oder 3 Punkte / höchste Kategorie in einem Parameter: Erhöhtes Risiko
  • ≥7 Punkte: Sehr hohes Risiko
SIRS

SIRS (systemic inflammatory response syndrome)

Bei ≥ 2 SIRS Kriterien immer aktiv an Sepsis denken

  • AF >20/min. (oder paCO2 <34mmHg in art. BGA)
  • Temp. >38°C oder <36°C
  • HF >90/min.
  • Leukozyten >12.000/µl (oder >10% unreife Neutrophile im Diff.-BB)

qSOFA vs. NEWS vs. SIRS:

Screening-Tools und Kritik

Während SIRS viele Patient:innen mit Sepsis erkennt (hohe Sensitivität), sind viele andere Patient:innen SIRS-positiv, die keine Sepsis (sondern z.B. "nur" einen Infekt) haben (niedrige Spezifität). In den neuen Sepsis-Definitionen wird SIRS nicht mehr aktiv aufgeführt.

qSOFA hingegen erkennt einige Pat. mit Sepsis (noch) nicht (niedrige Sensitivität), ist aber relativ genau (höhere Spezifität). qSOFA zeigt relativ gut eine erhöhte Mortalität an, ist daher auch hilfreich um generell kritisch Kranke Patient:innen zu erkennen. Ein großer Vorteil insb. in der Präklinik und Notaufnahme ist die Einfachheit des Scores.

Der NEWS-Score liegt insbesondere in Sensitivität je nach Untersuchung besser qSOFA und in Spezifität besser als SIRS. Der Score kann auch in der Notaufnahme und ggf. präklinisch angewandt werden, ist aber deutlich komplizierter als qSOFA. Bei Nutzung moderner digitalen Systemen kann der Score allerdings oft relativ einfach erhoben werden.

Pragmatischer Vorschlag zur Nutzung der Tools:

Präklinik: qSOFA (oder NEWS) positiv → aktiv Sepsis als mögliche Ursache bedenken, andere Schock-Ursachen oder Gründe für kritische Zustandsverschlechterung erwägen.

Sepsis-Fokus

Sepsisfokus "LUCCAASS"

Hilfreiches Akronym zur Evaluation eines unklaren Sepsis-Fokus

LUCCAASS+Evaluation Sepsis-Fokus
L

Lung z.B . Pneumonie, Pleuraempyem

U

Urine z.B. Harnwegsinfekt, Pyelonephritis, Infekt von einliegendem Katheter

C

Cardiac z.B. Endokarditis

C

Central Nervous System z.B. Meningitis, Enzephalitis

A

Abdomen z.B. Cholezystitis, Appendizitis, Abszess, Hohlorganperforation

A

Arthritis z.B. septische Arthritis, Infekt von implantierter Gelenkprothese

S

Spine z.B. Spondylodiszitis, spinaler Abszess

S

Skin z.B. Erysipel, Abszess, einliegender Gefäßkatheter/Port, Wunden

+

Erwäge auch Hals- und Ohreninfekte, Zahninfektionen und -OPs sowie einliegende Fremdkörper (z.B. Tampons), v.a. bei Patient:innen, die sich nicht äußern können.

Sepsis-Fokus - LUCCASS + Diagnostik

(möglicher) Fokus

Diagnostik

Lung

  • Pneumonie
  • Pleuraempyem

→ Thorax-Sono, Thorax-Röntgen (ggf. CT)

Urine 

  • Harnwegsinfekt
  • Pyelonephritis
  • Infekt von einliegendem Katheter

Flanken(klopf)schmerz? Unterbauchschmerz? 
→ Urinstatus

Cardiac 

  • Endokarditis

Extremitäten: septische Embolien/ Einblutungen?

→ Echo: Klappen mit Vegetation/ unerwarteten Insuffizienzen?
(kein Ausschluss transthorakal möglich!)

Central nervous system 

  • Meningitis
  • Enzephalitis

Meningismus? → Lumbalpunktion

Abdomen 

  • Cholezystitis
  • Appendizitis
  • Abszess
  • Hohlorganperforation

Kürzliche abdominelle OP? 
Peritonismus? 
Druck-/Loslassschmerz? 

→ Sono / CT

Arthritis 

  • septische Arthritis
  • Infekt von implantierter Gelenkprothese

Z.n. OP mit Gelenkbeteiligung?

→ Fokussierte Gelenkuntersuchung

Spine 

  • Spondylodiszitis
  • Spinaler Abszess

Rückenschmerz, kürzliche Injektion? 

→ ggf. CT/MRT Wirbelsäule

Skin

  • Erysipel
  • Abszess
  • einliegender Gefäßkatheter/Port
  • Wunden

→ Haut inkl. Extremitäten, Urogenitalregion,
Hautfalten, Einstichstellen untersuchen

Erwäge auch Hals- und Ohreninfekte, Zahninfektionen und -OPs sowie einliegende Fremdkörper (z.B. Tampons), v.a. bei Patient:innen, die sich nicht äußern können.

Septischer Schock

Definition: MAP < 65mmHg + Laktat >2 mmol/l trotz Volumengabe

Fulminantes Krankheitsbild, intensivmedizinische Versorgung!

Checkliste Septischer Schock

Therapie analog zu Sepsis (s. Erste Schritte) inkl. Antibiose und Fokussuche. Bei septischem Schock zusätzlich Fokus auf Hämodynamik:

  • Ziel-MAP 65mmHg
    • Volumengabe 20-30ml/kg (in den ersten 3h)
      • Nach Klinik und Volumenstatus anpassen (beachte klinische Stabilisierung, Reaktion auf "Passive Leg Raise", Füllung V.Cava inferior
    • Katecholamine: Rascher Beginn mit Noradrenalin-Perfusor
      • initial auch periphervenös, im Verlauf (spätestens auf Intensivstation) zentralvenös
    • Arterien-Anlage zum Monitoring
    • Fokussierte Notfallsonografie: Herzfunktion? Orientierender Volumenstatus?
    • DK-Anlage, Urin-Output stündlich dokumentieren

Antibiotika

iv Antibiotika

Dosierungsangaben pro 24h.
Beispiel: Meropenem 1g/8h = 1g Meropenem alle 8 Stunden = 3 mal täglich

Indikation

First Line

Alternative

Kommentar

Pneumonie

CAP = Ambulant erworben
HAP = im Krankenhaus erworben
Schwer = z.B. Sepsis, resp. Insuffizienz, Beatmung, CRB65 >2 Punkte

CAP

Ampicillin/Sulbactam 3g/8h plus Azithromycin 500mg/24h (3 Tage)

Moxifloxacin 400mg/24h

Alternativ zu Azithromycin: Clarithromycin 500mg/12h (3 Tage)

CAP (schwer)

Piperacillin/Tazobactam 4,5g/6h plus Azithromycin 500mg/24h (3 Tage)

Ceftriaxon 2g /24h
(bei bek. Pseudomonas-Besiedelung / strukt. Lungenerkrankung: Meropenem 1g /8h)

Additiv: Hydrocortison 200mg/24h (s. Hydrocortison-Perfusor)

Alternativ zu Azithromycin: Clarithromycin 500mg/12h (3 Tage)

HAP
ohne Risikofaktoren

Ampicillin/Sulbactam 3g/8h

Ceftriaxon 2g /24h

HAP
(schwer / Sepsis / MRE)

Piperacillin/ Tazobactam 4,5g/8h

Meropenem 1g/8h

Pneumocystis-Pneumonie (PCJ)

Cotrimoxazol 40mg/kg/8h

zusätzlich Prednisolon 40mg/12h bei HIV oder Hypoxie

Pyelonephritis / Urosepsis

Ceftriaxon 2g/24h
(bei Sepsis 2g/12h an Tag 1 erwägen)

Piperacillin/ Tazobactam 4,5g/8h

Falls rez. Infekt: Bakteriologische Vorbefunde sichten und Antibiose anpassen!

Cholezystitis /
Cholangitis /
perf. Appendizitis /
perf. Divertikulitis

Ceftriaxon 2g/24h plus Metronidazol 500mg/8h

Levofloxacin 500mg/12h plus Metronidazol 500mg/8h

Peritonitis
z.B. perf./kompl. Cholezystitis, Cholangiosepsis

Piperacillin/ Tazobactam 4,5g/8h

Meropenem 1g/8h

Spontan bakterielle Peritonitis
ohne Sepsis

Ceftriaxon 2g/24h

Levofloxacin 500mg/12h

Instabil / Sepsis-Zeichen: Therapie wie "Peritonitis"

Erysipel

Penicillin G 10MioIE/8h

Clindamycin 600mg/8h

Abszess /
Weichteilinfekt /
Gelenksinfektion

Cefazolin 2g/8h (ggf. nach 24h auf 1g/8h reduzieren)

Clindamycin 600mg /8h oder Ampicillin/ Sulbactam 3g/8h

Infizierte Wunde
ohne Sepsiszeichen

Ampicillin/Sulbactam 3g/8h

Cefuroxim 1,5g/8h plus Metronidazol 500mg/8h

Bei MRSA-Risiko: plus Linezolid 600mg/8h

Insb. bei nekrot. Fasziitis: Immer chir. Intervention, nie “nur” Antibiose!

Nekrotisierende Fasziitis /
Infizierte Wunde mit Sepsiszeichen /
Hohlhandphlegmone

Piperacillin/Tazobactam 4,5g/8h plus
Clindamycin 600mg/8h

Meropenem 2g/8h plus Clindamycin 600mg/8h

Bakterielle Meningitis

Dexamethason 10mg möglichst vor Antibiotika (dann alle 6h)

Ceftriaxon 2g/12h plus
Ampicillin 2g/4h plus
Aciclovir 10mg/kg/8h

Aciclovir, falls virale Meningitis nicht sicher auszuschließen (in der Akutsituation kaum möglich)

Endokarditis
(Nativklappe)

Ampicillin 3g/6h plus Flucloxacillin 3g/6h plus Gentamicin 3mg/ kg/24h

Mind. 2x3 Blutkulturen VOR Antibiose abnehmen!

unklare Sepsis
(immunkompetent)

Piperacillin/Tazobactam 4,5g/6h evtl. plus Ciprofloxacin 400mg/8h

ggf. Dosisanpassung nach 24h

unklare Sepsis
(neutropen / schwer immunsupprimiert)
Meropenem 2g/8h evtl. plus Ciprofloxacin 400mg/8h plus Voriconazol 6mg/ kg/12hggf. Dosisanpassung nach 24h

Interessante Links (frei zugänglich)
Literatur
  • Evans, L. et al. Surviving Sepsis Campaign: International Guidelines for Management of Sepsis and Septic Shock 2021. Crit. Care Med. 49, e1063–e1143 (2021).
  • Bodmann, K.-F. Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2018. DMW - Dtsch. Med. Wochenschr. 144, 729–733 (2019).
  • Usman, O. A., Usman, A. A. & Ward, M. A. Comparison of SIRS, qSOFA, and NEWS for the early identification of sepsis in the Emergency Department. Am. J. Emerg. Med. 37, 1490–1497 (2019).
  • DSG. S3-Leitlinie Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge. AWMF (2018).
  • Singer, M. et al. The Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3). JAMA 315, 801–810 (2016).

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