1. Leitsymptome
  2. Abdomen, Haut, Extremitäten

Diarrhö

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Killer

Red Flags

  • Blutige Diarrhö
    → V.a. GI-Blutung, Ischämie, chron. Darmerkrankung, bakt./parasitärer Infekt
  • Immunsupprimierte Pat. (Transplantierte, HIV, Chemotherapie etc.)
  • „Gefäßpatient:innen“ z.B. Dialysepat., bekannte KHK, pAVK, etc. → V.a. Mesenterialischämie
  • Schwangere

Erste Schritte

Anamnese

  • Infekte im Umfeld: z.B. Kleinkinder/Kindergarten mit Diarrhö
  • Vorerkrankungen: insb. chronische Darmerkrankung, Immunsuppression, Schilddrüsenüberfunktion
    • kürzliche Antibiotika-Einnahme
  • Veränderung in der Ernährung: „Risikoreiches" Essen (z.B. Fisch, Fleisch vom Imbissstand) oder vermehrt "Light-Produkte" mit Sorbitol?
  • Begleitsymptome: Bauchschmerzen, Fieber, blutige Diarrhö etc.)?
  • Reiseanamnese, Kontakt zu Tieren
  • Beruflicher Umgang mit Lebensmitteln oder Tätigkeit in Gemeinschaftseinrichtung (inkl. Pflegeheim!): evtl. Meldepflicht

Fokussierte Untersuchung inkl.

  • Exsikkosezeichen?
  • Abdominelle Schmerzen? Abwehrspannung?
  • Ggf. rektale Untersuchung: Blut? Analfissur? Kotstein?
  • Bei abdominellen Auffälligkeiten fokussierte Sonografie: Freie Flüssigkeit? Ileus? Entzündungsfokus (insb. Cholezystitis, Appendizitis, Divertikulitis – je nach Lokalisation der Beschwerden)?
  • Labordiagnostik
    • immer BGA inkl. Hb, Natrium, Kalium, Laktat (relevante Hypovolämie; DD Mesenterialischämie)
    • Bei Red Flags erweitertes Labor (Blutbild, Nierenwerte, Elektrolyte, CRP, ggf. Leberwerte)
    • Reiserückkehrer aus Risikogebiet + Fieber: Malaria erwägen („dicker Tropfen“) - siehe Febrile Reiserückkehrer
  • Stuhlprobe selten unmittelbar notwendig oder relevant in der Notaufnahme
    • bei Red Flags / Reiseanamnese kann eine Probe auf pathogene Keime abgenommen werden

Symptomatische Therapie

  • Volumengabe (insb. bei Exsikkosezeichen)
  • Falls stationäre Aufnahme nötig: Isolation in Einzelzimmer (Ausnahme: sicher nicht-infektiöse Genese, z.B. Schub bei bekanntem M. Crohn)

Tipps

  • Oft wird einmalig flüssiger Stuhlgang von Pat. als „Diarrhö“ bezeichnet. 
Vereinfachte Definition: ≥3 ungeformte flüssige Stühle pro Tag.

Ziele in der Notaufnahme:

  • Ausgleich etwaiger relevanter Flüssigkeitsverluste/ Elektrolytverschiebungen
  • Ausschluss einer bedrohlichen Ursache = IMMER vor unkritischer Diagnosestellung „Gastroenteritis“ hinterfragen:
    • Anderer Fokus / Red Flags vorhanden?
    • Isolation bei potenziell infektiöser Ursache
    • Reiseanamnese
  • CAVE: Keine "reflexartige" Behandlung von akuter Diarrhö mit Loperamid! Kontraindikation bei blutiger Diarrhö / Fieber; Gefahr der Verlängerung der Erkrankungsdauer, Maskierung von Flüssigkeitsverlust sowie relevante Wechselwirkungen - z.B. bei Einnahme von Loperamid und Chinin (-haltige Medikation, Tonic Water etc.)

Fokus Präklinik

  • Red Flags prüfen, Killer aktiv erwägen
  • Erste Schritte, insb.:
  • Transportziel: Meist Klinik mit Innerer Medizin

Diarrhö allgemein

  • Akut: weniger als drei Wochen andauernd
  • Chronisch: >3 Wochen andauernde Beschwerden.
Diarrhö - Ursachen in der Notaufnahme

Häufigste Ursachen für Diarrhö in der Notaufnahme

  • Virale Infektion (Norovirus, Rotavirus)
  • Bakterielle parasitäre Infektion bzw. spezifische Toxine (Campylobacter, Clostridium difficile, lebensmittelinduziert) oder Reiserückkehrer
  • Einnahme/Abusus von Laxantien inkl. vermehrte Einnahme/Konsum von Sorbitol (Süßstoff bei zuckerreduzierten „Light-Produkten“/Kaugummi, Laxantien-Abusus bei Essstörung)

Wichtige, aber seltenere Ursachen

  • Begleiterscheinung bei abdominellen Erkrankungen, z.B.
    • Appendizitis (Frühzeichen bei jungen Pat.)
    • Mesenterialischämie (typisch ältere Pat.mit Gefäßerkrankungen, ggf. Vorhofflimmern. Häufig übersehen, hohe Mortalität!)
  • Begleiterscheinung bei systemischen Erkrankungen/Schäden, z.B. Sepsis, Hyperthyreose, Intoxikation, nach Chemotherapie
  • Chronische Darmerkrankung (typisch bei jüngeren Pat.)
  • Paradoxe Diarrhö bei Kotsteinen / Darmstenosen
  • EHEC-Infektion, Hämolytisch-urämisches Fieber mit Nierenversagen

  • Ursachen chronischer Diarrhö (meist nicht Vorstellungsgrund):
  • Nach abdominellen Vor-OPs (z.B. Kolektomie)
  • Bekannte Darm-Pathologie wie Zöliakie, Reizdarmsyndrom

Checkliste Diarrhö

  • Anamnese + Klinik (s. "Erste Schritte" oben):
    • Risikofaktoren für schweren Verlauf? Risikofaktoren für C.diff? Meldepflicht?
    • Klinisch schwerer Krankheitsverlauf?
  • Symptomatische Therapie
    • Volumengabe (initial wenn möglich primär perorale Gabe (z.B. orale Rehydratationslösung), alternativ iv.-Gabe)
    • Antiemetika (z.B. Ondansetron) - schlechte Evidenz, Einzelfallentscheidung (nicht bei Kindern)
    • Analgetika nach Bedarf
  • Erregerdiagnostik (bei unkompliziertem Verlauf in der Notaufnahme nicht zielführend, bei Risikofaktoren Basisdiagnostik abnehmen)
Indikationen für Basisdiagnostik (nach Leitlinie 2023)

Basisdiagnostik: Norovirus, Rotavirus, Campylobacter, Salmonellen
Bei V.a. nosokomiale Diarrhö (Auftreten >48h nach Aufnahme, keine Ausbrüche von anderen Erregern): Clostridioides difficile, Norovirus

  • Blutige Diarrhö
  • Klinisch schwere Krankheit (z. B. Fieber, Dehydrierung, Sepsis, HUS)
  • Diarrhö-Dauer > 14 Tage
  • Komorbiditäten, die bei einer infektiösen Gastroenteritis mit einem erhöhten Komplikationsrisiko assoziiert sind (insb. Diabetes Mellitus, Immunsuppression, Kurzdarmsyndrom, onkologische Grunderkrankung, Schwangerschaft)
  • Immundefizienz
  • Antibiotikaeinnahme innerhalb der letzten 3 Monate oder sonstige Risikofaktoren für eine C.difficile-Infektion
  • nosokomiale Diarrhö
  • vor Einleitung einer empirischen antibiotischen Therapie der Durchfallerkrankung
  • Arbeit in Nahrungsmittelverarbeitung oder Gemeinschaftseinrichtung
  • ≥ 2 Fälle mit vermutetem epidemiologischem Zusammenhang
  • Antibiose
    • Keine routinemäßige Antibiose bei unkomplizierter, infektiöser Gastroenteritis
    • Bei schwerem Krankheitsbild (Fieber, Sepsis, blutige Diarrhö, relevante Immunsuppression) im Einzelfall nach Abnahme von Kulturen ggf. Azithromycin 1000mg po. (Einmalgabe) - alternative Antibiose iv. z.B. mit Amoxicillin/Clavulansäure oder Ampicillin/Sulbactam.

Meldepflicht

Meldepflichtige Erkrankungen mit Diarrhö

Bei V.a. Erkrankung Meldepflicht nach §6 →Infektionsschutzgesetz (IfSG), hier vereinfacht / verkürzt für die Notfallmedizin:

  • V.a. infektiöse Gastroenteritis / Lebensmittelvergiftung und:
    • Person mit Tätigkeit in Küchen oder Lebensmittelverarbeitung oder
    • ≥2 Fälle mit vermutetem epidemiologischen Zusammenhang
  • Clostridioides-difficile-Infektion mit notwendiger stationärer Aufnahme (oder Intensivtherapie oder notwendigem chirurgischem Eingriff, Tod nach/an CDI)
  • Hämolytisch-urämisches Syndrom
  • Cholera

Clostridioides difficile

C. difficile assoziierte Durchfälle/ Colitis

Schädigung der natürlichen Darmflora mit Ausbildung einer Kolitis durch bestehende C.diff.-Besiedelung. Meist nach Antibiotikagabe und/oder im Rahmen schwerer systemischer Erkrankung.
Typisch: Ältere, vorerkrankte Pat. aus Pflegeheim, wiederholte Antibiotikagabe, Immunsuppression

Risikofaktoren für Auftreten von Clostridioides difficile

nach Leitlinie 2023

  • Antibiotikatherapie
    • aktuell
    • Z.n. Antibiotikatherapie (innerhalb der letzten 3 Monate)
  • Z.n. C. difficile-Infektion (innerhalb der letzten 12 Monate)
  • Hospitalisierung / Pflegeheim
    • Z.n. Hospitalisierung innerhalb der letzten drei Monate
    • Unterbringung in Pflegeheim / Kurzzeitpflegeeinrichtung
  • Alter >65 Jahre
  • Z.n. Transplantation (Organ-TX, Stammzellen)
  • Chronisch entzündliche Darmerkrankung
  • "Chronische internistische Komorbiditäten" (Empfehlung nicht weiter spezifiziert)
  • Symptombeginn typischerweise 7-10 Tage nach Antibiose (kann bis zu 2 Monate später auftreten)
  • Mindestens 3 Stuhlgänge/ in 24h = aktive Infektion

Diagnostik: Toxin-Nachweis ist notwendig um Infektion nachzuweisen (Nachweis von Clostridium difficile selbst ist nur der Nachweis einer Kolonisation); via Stuhl-PCR/ELISA; im Verlauf via Kultur

Checkliste C.difficile Diarrhö

  • Isolation
  • Symptomatische Therapie (Volumenersatz, Analgesie)
  • Wenn möglich Absetzen der (ev. ursächlichen) Antibiotika-Therapie (sowie PPI, NSAR)
  • Bei akutem Abdomen, Sepsiszeichen, klinische schlechtem Zustand: DD toxisches Megacolon, Ileus, Perforation/Abszeß, Peritonitis: CT!

Medikamentöse Therapie

  • enterale Gabe bevorzugt: Fidaxomicin 200mg/12h po. für 10d
    • alternativ: Vancomycin 125mg/6h po. für 10d
    • Fall keine enterale Gabe möglich: Metronidazol 500mg /8h iv. oder Tigecyclin 50mg /12h iv. (Startdosis 100mg)
  • Erstes Rezidiv nach initialer Vancomycin-Therapie: Fidaxomicin
  • Schwere / komplizierte Infektion (z.B. mit Fieber, relevante laborchemischen Infektzeichen, akute Nierenfunktionseinschränkung >50% Vorwerte):
    • Notfallmäßige chirurgische Vorstellung, (meist dann CT-Diagnostik)
    • Bei Subileus oder Kolondilatation >6cm: Vancomycin 500mg/6h oder Fidaxomicin 200mg/12h (via Magensonde, alternativ via Kolonsonde)
      • Falls Sondentherapie nicht möglich: iv.-Therapie mit Metronidazol oder Tigecyclin (s.oben)
      • Bei V.a. Perforation: Eskalation der Antibiose (analog akutes Abdomen) z.B. mit Piperacillin/Tazobactam 4,5g iv.

“Lebensmittelvergiftung“ und Reisediarrhö

Meist Diarrhö (= Enteritis), oft mit Erbrechen (= Gastroenteritis) durch virale Erreger (z.B. Noro-/Rotavirus) oder lebensmittelinduziert (bakterielle Toxine). V.a. bei jungen Pat. oft hoher Leidensdruck, aber ohne relevante Vorerkrankungen meist nicht bedrohlich.

Mechanismen
  • Toxin wird mit der Nahrung aufgenommen (z.B. Staph. aureus, Bacillus cereus, Clostridium botulinum)  → schnelle Symptomentwicklung innerhalb von einer Stunde
  • Toxin wird erst nach Aufnahme produziert (z.B. Shigellen, STEC) → Beschwerden beginnen nach 24 Stunden
  • Direkte Invasion des Darmepithels durch die Pathogene (z.B. Salmonellen, E. coli, Campylobacter) → Beginn der Symptome eher nach 24-48h

Checkliste Lebensmittelvergiftung und Reisediarrhö

Bei unkompliziertem Verlauf (ausreichende orale Flüssigkeitsaufnahme möglich) und keine Red Flags:

  • Entlassung mit Hinweis auf häusliche Isolation, Händehygiene und möglichst Nutzung eigener Toilette
  • Viel trinken, Schonkost / langsamer Kostaufbau
  • Evtl. Probiotika (eingeschränkte Datenlage)
  • Ambulante klinische Verlaufskontrolle falls keine Besserung binnen 2-3 d, bei Auftreten von Red Flags früher

Bei nicht ausreichender oraler Flüssigkeitsaufnahme:

  • Aufnahme, Isolation, ggf. Stuhlkulturen
  • Volumengabe
  • Engmaschige klinische Verlaufsbeurteilung
  • Laborkontrolle

Reiserückkehrer mit kompliziertem prolongiertem Verlauf oder blutiger Diarrhö:

  • Azithromycin 1g po. Einmaldosis (zuvor wenn möglich Abnahme von Stuhlkultur)
  • Anhaltende Beschwerden: Amöbenruhr erwägen - Kultur spezifisch auf Parasiten/Amöben versenden

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED)

Morbus Crohn (v.a. Ileum/terminales Colon – jedoch diskontinuierlicher Befall des gesamten GI-Traktes möglich, kann zu Fibrose/Strikturen führen). Typisch: rektale Blutabgänge oder Tenesmen

Colitis ulcerosa (Befall Colon, häufig schubartiger Verlauf). Meist Erstmanifestation zwischen 15-30 Jahren. Typisch: Blutige Diarrhö, krampfartiger Bauchschmerz.

Allgemeine Risikozeichen für schweren Verlauf:

Checkliste CED

Verdacht auf CED

  • Familienanamnese (erstgradige Verwandte haben ein 10-15% erhöhtes Risiko, ebenfalls an einer CED zu erkranken)
  • Bei Risikozeichen: Stationäre gastroenterologische Aufnahme, sonst (zeitnahe) ambulante Diagnostik

Bekannte CED

  • Bei bestehender Immunsuppression neben akutem Schub IMMER differenzialdiagnostisch an Superinfektion/ opportunistische Infektion denken!
  • Therapieadhärenz/ Compliance
  • Bei Risikozeichen: Stationäre gastroenterologische Aufnahme

Therapie

  • Symptomatische Therapie inkl. Volumen-, Elektrolytausgleich, Analgesie
  • Spezifische Therapie immer in Rücksprache mit Gastroenterologie (z.B. Mesalazin, lokale Steroide, ggf. systemische Steroide, TNF-Alpha-Inhibitoren etc.):

Immer auf etwaige Komplikationen evaluieren, insbesondere:

  • Ileus (durch Strikturen), Konglomerat-Tumor / Verwachsung bei M. Crohn
  • Intraabdominelle Abszesse / Perforation bis hin zu Peritonitis
  • ggf. Hinweis auf kolorektale Karzinome (B-Symptomatik?)
  • Infektionen unter der Immunsuppression
  • Mangelernährung
Interessante Links (frei zugänglich)
Literatur
  • Böhm, L. & Fandler, M. Gastrointestinale Infektionen. Notaufnahme up2date 06, 120–124 (2024).
  • DGVS. S2k-Leitlinie Gastrointestinale Infektionen (Version 2.0). AWMF (2023).
  • Lechmann, C. & Streetz, K. Leitsymptom Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Durchfall in der Notaufnahme. Notaufnahme up2date 05, 145–161 (2023).
  • DGVS. S3-Leitlinie Colitis ulcerosa (Version 6.1). AWMF (2023).
  • Atreya, R. et al. S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn. Z. für Gastroenterol. 60, 332–418 (2022).
  • Prehn, J. van et al. European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases: 2021 update on the treatment guidance document for Clostridioides difficile infection in adults. Clin. Microbiol. Infect. 27, S1–S21 (2021).
  • Kursun, H., Diehl, C. & Geldner, G. Tod durch Limonade. Anästh Intensivmed 59, 267–270 (2018).

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