Killer
Red Flags
- Blutige Diarrhö
→ V.a. GI-Blutung, Ischämie, chron. Darmerkrankung, bakt./parasitärer Infekt - Immunsupprimierte Pat. (Transplantierte, HIV, Chemotherapie etc.)
- „Gefäßpatient:innen“ z.B. Dialysepat., bekannte KHK, pAVK, etc. → V.a. Mesenterialischämie
- Schwangere
- Zusätzliche Symptomatik zu Diarrhö:
- Fieber (bakterieller Infekt, systemische Erkrankung?)
- Abdomineller Schmerz/Peritonitis (u.a. Appendizitis, perforierte Divertikulitis, etc.)
- Schwallartiges Erbrechen (evtl. Ileus/abd. Entzündung)
- Akute Niereninsuffizienz, Infektparameter, Thrombozytopenie, hämolytische Anämie: DD HUS (thrombotische Mikroangiopathie)
Erste Schritte
Anamnese
- Infekte im Umfeld: z.B. Kleinkinder/Kindergarten mit Diarrhö
- Vorerkrankungen: insb. chronische Darmerkrankung, Immunsuppression, Schilddrüsenüberfunktion
- kürzliche Antibiotika-Einnahme
- Veränderung in der Ernährung: „Risikoreiches" Essen (z.B. Fisch, Fleisch vom Imbissstand) oder vermehrt "Light-Produkte" mit Sorbitol?
- Begleitsymptome: Bauchschmerzen, Fieber, blutige Diarrhö etc.)?
- Reiseanamnese, Kontakt zu Tieren
- Beruflicher Umgang mit Lebensmitteln oder Tätigkeit in Gemeinschaftseinrichtung (inkl. Pflegeheim!): evtl. Meldepflicht
Fokussierte Untersuchung inkl.
- Exsikkosezeichen?
- Abdominelle Schmerzen? Abwehrspannung?
- Ggf. rektale Untersuchung: Blut? Analfissur? Kotstein?
- Bei abdominellen Auffälligkeiten fokussierte Sonografie: Freie Flüssigkeit? Ileus? Entzündungsfokus (insb. Cholezystitis, Appendizitis, Divertikulitis – je nach Lokalisation der Beschwerden)?
- Labordiagnostik
- immer BGA inkl. Hb, Natrium, Kalium, Laktat (relevante Hypovolämie; DD Mesenterialischämie)
- Bei Red Flags erweitertes Labor (Blutbild, Nierenwerte, Elektrolyte, CRP, ggf. Leberwerte)
- Reiserückkehrer aus Risikogebiet + Fieber: Malaria erwägen („dicker Tropfen“) - siehe Febrile Reiserückkehrer
- Stuhlprobe selten unmittelbar notwendig oder relevant in der Notaufnahme
- bei Red Flags / Reiseanamnese kann eine Probe auf pathogene Keime abgenommen werden
Symptomatische Therapie
- Volumengabe (insb. bei Exsikkosezeichen)
- Falls stationäre Aufnahme nötig: Isolation in Einzelzimmer (Ausnahme: sicher nicht-infektiöse Genese, z.B. Schub bei bekanntem M. Crohn)
Tipps
- Oft wird einmalig flüssiger Stuhlgang von Pat. als „Diarrhö“ bezeichnet. Vereinfachte Definition: ≥3 ungeformte flüssige Stühle pro Tag.
Ziele in der Notaufnahme:
- Ausgleich etwaiger relevanter Flüssigkeitsverluste/ Elektrolytverschiebungen
- Ausschluss einer bedrohlichen Ursache = IMMER vor unkritischer Diagnosestellung „Gastroenteritis“ hinterfragen:
- Anderer Fokus / Red Flags vorhanden?
- Isolation bei potenziell infektiöser Ursache
- Reiseanamnese
- CAVE: Keine "reflexartige" Behandlung von akuter Diarrhö mit Loperamid! Kontraindikation bei blutiger Diarrhö / Fieber; Gefahr der Verlängerung der Erkrankungsdauer, Maskierung von Flüssigkeitsverlust sowie relevante Wechselwirkungen - z.B. bei Einnahme von Loperamid und Chinin (-haltige Medikation, Tonic Water etc.)
Fokus Präklinik
- Red Flags prüfen, Killer aktiv erwägen
- Erste Schritte, insb.:
- Selbstschutz (Isolation?)
- Hinweis auf Sepsis, Gi-Blutung, akutes Abdomen?
- Transportziel: Meist Klinik mit Innerer Medizin
Diarrhö allgemein
- Akut: weniger als drei Wochen andauernd
- Chronisch: >3 Wochen andauernde Beschwerden.
Diarrhö - Ursachen in der Notaufnahme
Häufigste Ursachen für Diarrhö in der Notaufnahme
- Virale Infektion (Norovirus, Rotavirus)
- Bakterielle parasitäre Infektion bzw. spezifische Toxine (Campylobacter, Clostridium difficile, lebensmittelinduziert) oder Reiserückkehrer
- Einnahme/Abusus von Laxantien inkl. vermehrte Einnahme/Konsum von Sorbitol (Süßstoff bei zuckerreduzierten „Light-Produkten“/Kaugummi, Laxantien-Abusus bei Essstörung)
Wichtige, aber seltenere Ursachen
- Begleiterscheinung bei abdominellen Erkrankungen, z.B.
- Appendizitis (Frühzeichen bei jungen Pat.)
- Mesenterialischämie (typisch ältere Pat.mit Gefäßerkrankungen, ggf. Vorhofflimmern. Häufig übersehen, hohe Mortalität!)
- Begleiterscheinung bei systemischen Erkrankungen/Schäden, z.B. Sepsis, Hyperthyreose, Intoxikation, nach Chemotherapie
- Chronische Darmerkrankung (typisch bei jüngeren Pat.)
- Paradoxe Diarrhö bei Kotsteinen / Darmstenosen
- EHEC-Infektion, Hämolytisch-urämisches Fieber mit Nierenversagen
- Ursachen chronischer Diarrhö (meist nicht Vorstellungsgrund):
- Nach abdominellen Vor-OPs (z.B. Kolektomie)
- Bekannte Darm-Pathologie wie Zöliakie, Reizdarmsyndrom
Checkliste Diarrhö
- Anamnese + Klinik (s. "Erste Schritte" oben):
- Risikofaktoren für schweren Verlauf? Risikofaktoren für C.diff? Meldepflicht?
- Klinisch schwerer Krankheitsverlauf?
- Symptomatische Therapie
- Volumengabe (initial wenn möglich primär perorale Gabe (z.B. orale Rehydratationslösung), alternativ iv.-Gabe)
- Antiemetika (z.B. Ondansetron) - schlechte Evidenz, Einzelfallentscheidung (nicht bei Kindern)
- Analgetika nach Bedarf
- Erregerdiagnostik (bei unkompliziertem Verlauf in der Notaufnahme nicht zielführend, bei Risikofaktoren Basisdiagnostik abnehmen)
Indikationen für Basisdiagnostik (nach Leitlinie 2023)
Basisdiagnostik: Norovirus, Rotavirus, Campylobacter, Salmonellen
Bei V.a. nosokomiale Diarrhö (Auftreten >48h nach Aufnahme, keine Ausbrüche von anderen Erregern): Clostridioides difficile, Norovirus
- Blutige Diarrhö
- Klinisch schwere Krankheit (z. B. Fieber, Dehydrierung, Sepsis, HUS)
- Diarrhö-Dauer > 14 Tage
- Komorbiditäten, die bei einer infektiösen Gastroenteritis mit einem erhöhten Komplikationsrisiko assoziiert sind (insb. Diabetes Mellitus, Immunsuppression, Kurzdarmsyndrom, onkologische Grunderkrankung, Schwangerschaft)
- Immundefizienz
- Antibiotikaeinnahme innerhalb der letzten 3 Monate oder sonstige Risikofaktoren für eine C.difficile-Infektion
- nosokomiale Diarrhö
- vor Einleitung einer empirischen antibiotischen Therapie der Durchfallerkrankung
- Arbeit in Nahrungsmittelverarbeitung oder Gemeinschaftseinrichtung
- ≥ 2 Fälle mit vermutetem epidemiologischem Zusammenhang
- Antibiose
- Keine routinemäßige Antibiose bei unkomplizierter, infektiöser Gastroenteritis
- Bei schwerem Krankheitsbild (Fieber, Sepsis, blutige Diarrhö, relevante Immunsuppression) im Einzelfall nach Abnahme von Kulturen ggf. Azithromycin 1000mg po. (Einmalgabe) - alternative Antibiose iv. z.B. mit Amoxicillin/Clavulansäure oder Ampicillin/Sulbactam.
Meldepflicht
Meldepflichtige Erkrankungen mit Diarrhö
Bei V.a. Erkrankung Meldepflicht nach §6 →Infektionsschutzgesetz (IfSG), hier vereinfacht / verkürzt für die Notfallmedizin:
- V.a. infektiöse Gastroenteritis / Lebensmittelvergiftung und:
- Person mit Tätigkeit in Küchen oder Lebensmittelverarbeitung oder
- ≥2 Fälle mit vermutetem epidemiologischen Zusammenhang
- Clostridioides-difficile-Infektion mit notwendiger stationärer Aufnahme (oder Intensivtherapie oder notwendigem chirurgischem Eingriff, Tod nach/an CDI)
- Hämolytisch-urämisches Syndrom
- Cholera
Clostridioides difficile
C. difficile assoziierte Durchfälle/ Colitis
Schädigung der natürlichen Darmflora mit Ausbildung einer Kolitis durch bestehende C.diff.-Besiedelung. Meist nach Antibiotikagabe und/oder im Rahmen schwerer systemischer Erkrankung.
Typisch: Ältere, vorerkrankte Pat. aus Pflegeheim, wiederholte Antibiotikagabe, Immunsuppression
Risikofaktoren für Auftreten von Clostridioides difficile
nach Leitlinie 2023
- Antibiotikatherapie
- aktuell
- Z.n. Antibiotikatherapie (innerhalb der letzten 3 Monate)
- Z.n. C. difficile-Infektion (innerhalb der letzten 12 Monate)
- Hospitalisierung / Pflegeheim
- Z.n. Hospitalisierung innerhalb der letzten drei Monate
- Unterbringung in Pflegeheim / Kurzzeitpflegeeinrichtung
- Alter >65 Jahre
- Z.n. Transplantation (Organ-TX, Stammzellen)
- Chronisch entzündliche Darmerkrankung
- "Chronische internistische Komorbiditäten" (Empfehlung nicht weiter spezifiziert)
- Symptombeginn typischerweise 7-10 Tage nach Antibiose (kann bis zu 2 Monate später auftreten)
- Mindestens 3 Stuhlgänge/ in 24h = aktive Infektion
Diagnostik: Toxin-Nachweis ist notwendig um Infektion nachzuweisen (Nachweis von Clostridium difficile selbst ist nur der Nachweis einer Kolonisation); via Stuhl-PCR/ELISA; im Verlauf via Kultur
Checkliste C.difficile Diarrhö
- Isolation
- Symptomatische Therapie (Volumenersatz, Analgesie)
- Wenn möglich Absetzen der (ev. ursächlichen) Antibiotika-Therapie (sowie PPI, NSAR)
- Bei akutem Abdomen, Sepsiszeichen, klinische schlechtem Zustand: DD toxisches Megacolon, Ileus, Perforation/Abszeß, Peritonitis: CT!
Medikamentöse Therapie
- enterale Gabe bevorzugt: Fidaxomicin 200mg/12h po. für 10d
- alternativ: Vancomycin 125mg/6h po. für 10d
- Fall keine enterale Gabe möglich: Metronidazol 500mg /8h iv. oder Tigecyclin 50mg /12h iv. (Startdosis 100mg)
- Erstes Rezidiv nach initialer Vancomycin-Therapie: Fidaxomicin
- Schwere / komplizierte Infektion (z.B. mit Fieber, relevante laborchemischen Infektzeichen, akute Nierenfunktionseinschränkung >50% Vorwerte):
- Notfallmäßige chirurgische Vorstellung, (meist dann CT-Diagnostik)
- Bei Subileus oder Kolondilatation >6cm: Vancomycin 500mg/6h oder Fidaxomicin 200mg/12h (via Magensonde, alternativ via Kolonsonde)
- Falls Sondentherapie nicht möglich: iv.-Therapie mit Metronidazol oder Tigecyclin (s.oben)
- Bei V.a. Perforation: Eskalation der Antibiose (analog akutes Abdomen) z.B. mit Piperacillin/Tazobactam 4,5g iv.
“Lebensmittelvergiftung“ und Reisediarrhö
Meist Diarrhö (= Enteritis), oft mit Erbrechen (= Gastroenteritis) durch virale Erreger (z.B. Noro-/Rotavirus) oder lebensmittelinduziert (bakterielle Toxine). V.a. bei jungen Pat. oft hoher Leidensdruck, aber ohne relevante Vorerkrankungen meist nicht bedrohlich.
Mechanismen
- Toxin wird mit der Nahrung aufgenommen (z.B. Staph. aureus, Bacillus cereus, Clostridium botulinum) → schnelle Symptomentwicklung innerhalb von einer Stunde
- Toxin wird erst nach Aufnahme produziert (z.B. Shigellen, STEC) → Beschwerden beginnen nach 24 Stunden
- Direkte Invasion des Darmepithels durch die Pathogene (z.B. Salmonellen, E. coli, Campylobacter) → Beginn der Symptome eher nach 24-48h
Checkliste Lebensmittelvergiftung und Reisediarrhö
Bei unkompliziertem Verlauf (ausreichende orale Flüssigkeitsaufnahme möglich) und keine Red Flags:
- Entlassung mit Hinweis auf häusliche Isolation, Händehygiene und möglichst Nutzung eigener Toilette
- Viel trinken, Schonkost / langsamer Kostaufbau
- Evtl. Probiotika (eingeschränkte Datenlage)
- Ambulante klinische Verlaufskontrolle falls keine Besserung binnen 2-3 d, bei Auftreten von Red Flags früher
Bei nicht ausreichender oraler Flüssigkeitsaufnahme:
- Aufnahme, Isolation, ggf. Stuhlkulturen
- Volumengabe
- Engmaschige klinische Verlaufsbeurteilung
- Laborkontrolle
Reiserückkehrer mit kompliziertem prolongiertem Verlauf oder blutiger Diarrhö:
- Azithromycin 1g po. Einmaldosis (zuvor wenn möglich Abnahme von Stuhlkultur)
- Anhaltende Beschwerden: Amöbenruhr erwägen - Kultur spezifisch auf Parasiten/Amöben versenden
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED)
Morbus Crohn (v.a. Ileum/terminales Colon – jedoch diskontinuierlicher Befall des gesamten GI-Traktes möglich, kann zu Fibrose/Strikturen führen). Typisch: rektale Blutabgänge oder Tenesmen
Colitis ulcerosa (Befall Colon, häufig schubartiger Verlauf). Meist Erstmanifestation zwischen 15-30 Jahren. Typisch: Blutige Diarrhö, krampfartiger Bauchschmerz.
Allgemeine Risikozeichen für schweren Verlauf:
Checkliste CED
Verdacht auf CED
- Familienanamnese (erstgradige Verwandte haben ein 10-15% erhöhtes Risiko, ebenfalls an einer CED zu erkranken)
- Bei Risikozeichen: Stationäre gastroenterologische Aufnahme, sonst (zeitnahe) ambulante Diagnostik
Bekannte CED
- Bei bestehender Immunsuppression neben akutem Schub IMMER differenzialdiagnostisch an Superinfektion/ opportunistische Infektion denken!
- Therapieadhärenz/ Compliance
- Bei Risikozeichen: Stationäre gastroenterologische Aufnahme
Therapie
- Symptomatische Therapie inkl. Volumen-, Elektrolytausgleich, Analgesie
- Spezifische Therapie immer in Rücksprache mit Gastroenterologie (z.B. Mesalazin, lokale Steroide, ggf. systemische Steroide, TNF-Alpha-Inhibitoren etc.):
Immer auf etwaige Komplikationen evaluieren, insbesondere:
- Ileus (durch Strikturen), Konglomerat-Tumor / Verwachsung bei M. Crohn
- Intraabdominelle Abszesse / Perforation bis hin zu Peritonitis
- ggf. Hinweis auf kolorektale Karzinome (B-Symptomatik?)
- Infektionen unter der Immunsuppression
- Mangelernährung
Weiterführende Literatur und Links
Interessante Links (frei zugänglich)
- Leitlinie Gastrointestinale Infektionen (AWMF 2023)
- Leitlinie Colitis Ulcerosa (AWMF 2023)
- Leitlinie Morbus Crohn (AWMF 2022)
- Europ. Leitlinie C. difficile Update 2021 (ESCM 2021)
- RKI Ratgeber Clostridioides difficile (RKI)
- Infektionsschutzgesetz (IfSG)
Literatur
- Böhm, L. & Fandler, M. Gastrointestinale Infektionen. Notaufnahme up2date 06, 120–124 (2024).
- DGVS. S2k-Leitlinie Gastrointestinale Infektionen (Version 2.0). AWMF (2023).
- Lechmann, C. & Streetz, K. Leitsymptom Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Durchfall in der Notaufnahme. Notaufnahme up2date 05, 145–161 (2023).
- DGVS. S3-Leitlinie Colitis ulcerosa (Version 6.1). AWMF (2023).
- Atreya, R. et al. S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn. Z. für Gastroenterol. 60, 332–418 (2022).
- Prehn, J. van et al. European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases: 2021 update on the treatment guidance document for Clostridioides difficile infection in adults. Clin. Microbiol. Infect. 27, S1–S21 (2021).
- Kursun, H., Diehl, C. & Geldner, G. Tod durch Limonade. Anästh Intensivmed 59, 267–270 (2018).