1. Leitsymptome
  2. Skills und Techniken

Maximalinvasive Eingriffe

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Tipps

Maximalinvasive Eingriffe sind seltene, sehr invasive Interventionen, die meist in akut vital bedrohlichen Situationen eingesetzt werden. Vielfach besteht wegen der Seltenheit eine geringe Übung der Durchführenden. Zentrale Regeln vor der Durchführung:

  • "Handle ich ehrenhaft?"
    (Basierend auf dem Zitat von Dr. John Hinds: "Are your intentions honorable?")
    Eine maximalinvasive Tätigkeit soll nur durchgeführt werden, wenn sie indiziert ist und potenziell Erfolg bringen kann - keinesfalls aus der Motivation "es einmal zu machen".
  • "Habe ich die richtige Expertise, die Umgebung, die Ausrüstung und das Team?"
    Wenn nicht zumindest basale Fertigkeiten / Konzepte und Ausrüstung zur Verfügung stehen oder das Team sich geschlossen gegen die Maßnahme stellt, ist eine Durchführung nicht sinnvoll.
  • "Habe ich ein Konzept?"
    Für maximalinvasive Eingriffe sollte vorab ein mentales Konzept zu Indikationen, Durchführung, Vorgehen, Equipment und der Kommunikation an das Team bestehen. Alle in der Notfallmedizin Tätigen sollten sich vor dem Eintreten dieser seltenen aber hochkritischen Situationen damit beschäftigen.

Perikardpunktion

Indikation (im Notfall)

Kontraindikation

  • Im Notfall (Schock bei Perikardtamponade / Kreislaufstillstand) keine absolute Kontraindikation
  • Falls Pat. stabilisierbar: Durchführung in Herzkatheterlabor / OP durch Expert:in
  • Bei akut traumatischer Tamponade (z.B. penetrierendes Thoraxtrauma) Punktion üblicherweise nicht zielführend, da Koagel die dünne Nadel / Katheter rasch verstopfen. Bei akuter traumatischer Perikardtamponade: Notfall-Thorakotomie erwägen
Komplikationen
  • Verletzung Lunge (Pneumothorax, Hämatothorax)
  • Verletzung Myokard (Ischämie/ Ventrikelpenetration, meistens rechts)
  • Verletzung Koronargefäße
  • Verletzung Leber
  • Verletzung A. mammaria
  • Arrhythmien (Irritation durch Nadel)
  • Luftembolie
  • Infektion / Myokarditis
Zugangswege und Equipment

Zugangswege

  • Parasternal links (cave: Lunge A. mammaria liegt ca. 3-5 cm lateral vom Sternum, Punktionsort <1-2 cm nahe des Sternums)
  • Apikal (4/5 ICR links vordere Axillarlinie, Cave: Intercostalarterien, Lunge)
  • Subxiphoidal (1cm lateral des Proc. xiphoideus; Zielrichtung linke Schulter, ca. 30° Neigung der Nadel, Cave: Leber, Zwerchfell) - Notfallzugang!

Wenn das Herz von apikal oder transthorakal mit Erguss darstellbar ist, kann dieser Bereich „sicher“ punktiert werden, da keine Lunge vor dem Herzen sein kann. Ansonsten wäre das Herz nicht darstellbar (im Gegensatz zur Leber - bei subxiphoidaler Anlotung - ist die Lunge kein Schallfenster). 

Equipment

Außer in extremis keine „einfache“ Punktion sondern immer Anlage einer Drainage (optimal Pigtail-Katheter), um erneut entlasten zu können! 

  • Perikardpunktionsset (mit Pigtail-Katheter)
    • Alternative falls kein Set vorhanden: ZVK (1-lumig - oder was verfügbar ist)
  • Agitiertes NaCl 0,9% (minimale Luftmenge mit NaCl aktiv und kräftig vermischen - z.B. 2 Spritzen mit 3-Wege-Hahn verbinden und hin- und herspritzen)
  • Ultraschall (Sektorschallkopf + möglichst steriler Überzug)
Perikardpunktion

Checkliste Perikardpunktion - Peri-Arrest

= Keine Zeit für Vorbereitung

  • Unter Reanimationsmaßnahmen bester Zugang meisten subxiphoidal
  • Ultraschallgezielte Punktion (mit Echoschallkopf) unter konstanter Aspiration
    • Teils schon geringe Aspirationsmenge (<50ml) für Behebung des akuten, vital bedrohlichen Schocks ausreichend
  • Einbringen des Führungsdrahts, Dilatation und Einlegen des Pigtails/ des ZVKs (je nach Set)
  • Lagekontrolle ("agitierte Kochsalzlösung", s.o.) und Kontrolle der Ergussmenge
Ausführliche Checkliste - Perikardpunktion

Checkliste Perikardpunktion im Notfall

(Kritischer Notfall, jedoch Zeit für Vorbereitung)

  • Via Echokardiografie größte Flüssigkeitsmenge nahe der Thoraxwand darstellen, Zugangsweg auswählen (siehe oben) und Markierung der Stelle
    • Messung: Wie tief unter Hautniveau (notwendige Tiefe der Punktion) und Richtung der Nadel (Winkel des Schallkopfes)
    • Farbdoppler-Kontrolle der Brustwand an geplanter Punktionsstelle: A. mammaria?
  • Punktionsset und Ultraschallsonde (wenn möglich sowohl Echoschallkopf für die spätere Lagekontorolle, als auch Linearschallkopf für die Punktion selbst) steril vorbereiten, Pat. abdecken, Haut desinfizieren.
    • Optimal zu zweit steril anziehen und arbeiten
    • Viele sterile Tücher zum Abdecken, um viel Platz zu haben, da der Draht in den meisten Sets sehr lang ist
  • Lokalanästhesie an Punktionsstelle setzen
  • Punktion unter Ultraschall-Visualisierung (z.B. mittels Linearschallkopf „in plane“) und konstanter Aspiration (die meisten Sets haben durchsichtige Abdecktücher, mit denen eine Ultraschallkontrolle möglich ist)
  • Nach erfolgreicher Aspiration Lagekontrolle mit „agitiertem NaCl“ (Person 1 führt den Schallkopf, Person 2 gibt die agitierte Kochsalzlösung über die Nadel)
  • Einbringen Führungsdraht (wenn möglich erneute Visualisierung der Drahtlage mittels Sonografie). Auch hier hilft die zweite Person, da der Draht sehr „floppy“ und lang ist. Der Draht wird von Person 1 über die Nadel eingeführt, die zweite Person reicht den Draht an und hält das Ende fest, damit es nicht unsteril wird. Draht vor dem Vorschub befeuchten (gleitet besser)
  • Einbringen Schleuse/Dilatator: Detailliertes Vorgehen je nach spezifischem Set, bspw. Einlage des Pigtails, Entfernung des Führungsdrahtes (Vorsicht hierbei, Pigtail direkt nach Entfernung des Drahtes mit Daumen abdecken und zügig den Dreiwegehahn / das Ablaufsystem anschließen, sonst kann Pneumoperikard enstehen)
  • Aspiration von Perikarderguss, ggf. Versenden von Proben
  • Drainage zunächst auf „Ablauf“ einstellen unter genauen Kontrollen der Menge (je nach Ursache des Ergusses)

Thorakotomie im Notfall

Bezeichnung nach gewähltem Verfahren auch als Clamshell bzw. Clamshell-Thorakotomie.

Indikationen im Notfall

  • Kreislaufstillstand nach penetrierenden Thoraxtrauma <10min
    • nach erfolgter Thoraxentlastung (Entlastung eines etwaigen Pneumothorax)
    • insb. bei (V.a.) Perikardtamponade
  • Kreislaufstillstand nach stumpfem Thoraxtrauma (Indikation sehr umstritten)

Kontraindikationen

  • Kreislaufstillstand >10min
  • Stabiler oder stabilisierbarer Kreislauf
  • Defibrillierbarer Rhythmus (dann zunächst Defibrillation)
Equipment

Minimales Equipment

  • Skalpell
  • Schere (stabile Verbandsschere oder stabile Kleiderschere)
  • Klemmen / Pinzette
  • Nahtset (2.0er Faden, Nadelhalter) oder "Wund-Tacker" (Klammergerät)

Optional / empfohlenes Equipment

  • Rippenspreizer
  • Gigli-Säge
  • Blasenkatheter

Checkliste Notfall-Thorakotomie

Durchführung so steril wie möglich (im Worst Case: Flasche mit Desinfektion großzügig auf Thorax schütten). Sobald ROSC / chirurgische Expertise vorhanden: Verlegung in OP!

Vorab:

  • Endotracheale Intubation und Beatmung (möglichst durch zweites Team), alternativ supraglottischer Atemweg
  • Beidseitige Finger-Thorakostomie (zuerst die schwerer verletzte Seite) 5. ICR zur Thoraxentlastung (Entlastung etwaiger Spannungspneumothoraces)
    Wenn nach Thoraxentlastung kein ROSC → „Clamshell“-Thorakotomie:
  1. Haut, Muskeln, Sternum durchtrennen
    • Thorakostomien mit tiefem Hautschnitt entlang des 5. ICR verbinden
    • Pleura und thorakale Muskulatur bds. bis zum Sternum mit Schere durchtrennen, dabei mit zwei Fingern der anderen Hand die Lunge vor der Schere schützen
    • Sternum mit Schere (oder Gigli-Säge) durchtrennen
  2. Thorax eröffnen, zwei Strukturen identifizieren
    • Thorax eröffnen (mit Rippenspreizer oder manuell - ggf. muss Helfer:in den geöffneten Thorax von der Kopfseite aus festhalten)
    • Strukturen identifizieren: Lunge links/rechts; Perikard mit Herz
  3. Perikardtamponade entlasten
    • Perikard mit Klemme/Pinzette anheben („wie ein Zelt“) und anterior länglichen Schnitt mit Skalpell durchführen
    • Herz aus Perikard entfernen (dabei nicht anheben/aus Thorax „herauskippen“!), Gerinnsel entfernen, auf Verletzungen inspizieren (aktive Blutung?)
    • Falls Wunden am Herz:
      • Aktive Blutung mit Finger oder Kompresse komprimieren (meist ausreichend)
      • Falls nicht zu stillen: ggf. Einzelknopfnaht oder Tacker
      • Größere Wunden (z.B. Verletzung nach Messerstich) als ultima ratio mit Dauerkatheter versorgen: DK einführen, mit max. 10ml (NaCl) aufblasen (um Wunde zu verschließen) und etwas zurückziehen. Katheter dann nahe am Herz abklemmen!
  4. Dann drei mögliche Szenarien:
    1. Herz fängt spontan an zu schlagen: ROSC
      • Wunden versorgen (s.o.), Thorax verschließen
      • Ggf. beginnende Blutungen der A. mammariae / Interkostalgefäße mit Kompressen, bei stärkerer Blutung mit Klemmen komprimieren
      • Thorax verschließen („zuklappen“)
      • Analgosedierung / Narkose
      • Frühzeitig OP!
    2. Herz fängt (sehr) langsam an zu schlagen (minimaler kardialer Output)
      • Wunden versorgen (s.o.)
      • Unterstützende interne Herzmassage (s.u.)
      • Katecholamingabe (Noradrenalin / Adrenalin Push Dose) nach Bedarf
    3. Weiterhin Asystolie / keine Herzaktion
      • Wunden (rasch!) versorgen
      • Interne Herzmassage (ggf. Versuch des „Anschnipsens“ um Herzaktion zu generieren)
      • Ggf. Kompression der distalen Aorta gegen die Wirbelsäule durch Teammitglied
  5. Falls keine Perikardtamponade: Blutungskontrolle!
    • Kompression der distalen Aorta gegen die Wirbelsäule (durch Assistent:in)
    • Tranexamsäure 1g iv.
    • Interne Herzmassage
    • Volumengabe (bis Herz sich „gefüllt“ anfühlt), Adrenalin-Boli nach Reanimations-Standard
    • Massive Lungen(gefäß)blutung:
      • Als ultima ratio „Hilar Twist“: Drehen der gesamten Lunge um den Hilus (zuvor Lösen des inferioren pulmonalen Ligaments), effektives Abklemmen der gesamten pulmonalen Durchblutung (CAVE: Hämodynamisch vergleichbar mit fulminanter einseitiger LAE)
      • Bei einzelner/lokaler aber relevanter Blutung ggf. mit Klammergerät lokal klammern

Interne Herzmassage:

  • Herz zwischen beide Handflächen nehmen, nicht aus Thorax herauskippen (Gefahr des Abknickens großer Gefäße), dann
  • Von der Spitze an in „wellenförmiger“ Bewegung komprimieren („melken“)

Defibrillation:

  • Wenn verfügbar mit internen Defibrillator-Paddles (in der Notaufnahme / präklinisch üblicherweise nicht vorhanden). Falls nicht verfügbar:
    • Thorax schließen („zuklappen“) und mit regulären Defibrillatorpatches defibrillieren

Escharotomie

Indikationen im Notfall

  • Unmöglichkeit der Beatmung bei schwerster zirkulärer Verbrennung, insb. des Thorax
  • (Drohende Ischämie des unter der Verbrennung liegenden Gewebes, ähnlich Kompartment-Syndrom) - dies erst im Verlauf (frühestens einige Stunden nach Verbrennung) im Verbrennungszentrum

Kontraindikationen

  • Im Notfall keine (vorab unbedingt Rücksprache Verbrennungszentrum, Hinzuziehen von Chirurgie, falls hier Erfahrung besteht)

Escharotomie

Checkliste Escharotomie

Vorab

  • Durchführung steril
  • Patient:in tief narkotisiert, intubiert

Durchführung: Schnitte durch die oberste, verbrannte (verbackene) Hautschicht, optimal mit Elektrokauter, sonst Skalpell (verschiedene Detail-Techniken / Empfehlungen, wenig Evidenz, hier pragmatischer Vorschlag nach Expert:innenmeinung und Leitlinien)

  1. Schnitt von der Axilla (anteriore Axillarlinie) bis zum Rippenbogen
  2. Verbindungsschnitt entlang des Rippenbogens sowie 
Verbindungsschnitt kaudal der Clavicula
  3. Ggf. (je nach Anatomie und Situation, falls notwendig) Mittellinienschnitt von Xiphoid bis knapp unter Jugulum

Interessante Links (frei zugänglich)
Literatur
  • Zhang, L., Labib, A. M. & Hughes, P. G. Escharotomy - StatPearls. in StatPearls (StatPearls Publishing, 2023).
  • Lott, C. et al. Kreislaufstillstand unter besonderen Umständen. Notfall Rettungsmedizin 24, 447–523 (2021).
  • Koyro, K. I., Bingoel, A. S., Bucher, F. & Vogt, P. M. Burn Guidelines—An International Comparison. Eur. Burn J. 2, 125–139 (2021).
  • Schimrigk, J. et al. Indikation, Prozedere und Outcome der präklinischen Notfallthorakotomie – eine systematische Literaturrecherche. Unfallchirurg 123, 711–723 (2020).
  • Schneider, N. et al. Invasive Notfalltechniken – INTECH Advanced. Notf. Rettungsmedizin 22, 87–99 (2019).
  • ACI. Escharotomy for Burn Patients - Clinical Guideline (NSW Government, 2019).
  • Rudolph, M., Lange, T., Göring, M., Schneider, N. & Popp, E. Clamshell-Thorakotomie im Rettungsdienst und Schockraum: Indikationen, Anforderungen und Technik. Notarzt 35, 199–207 (2019).
  • Sherren, P. B., Reid, C., Habig, K. & Burns, B. J. Algorithm for the resuscitation of traumatic cardiac arrest patients in a physician-staffed helicopter emergency medical service. Crit. Care 17, 308 (2013).
  • Wise, D. et al. Emergency thoracotomy: “how to do it.” Emerg. Med. J. 22, 22 (2005).

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