Erste Schritte
- Anamnese
- Sexualanamnese ohne Verurteilung!
- Immer abfragen - "3 Ps"
- Partner:innen
- Praktiken
- Präventionsverhalten
- Untersuchung mit Fokus auf
- Lymphknotenstatus
- Haut komplett untersuchen
- ggf. ano-rektale Untersuchung, insb. bei MSM oder HIV-Patient:innen
- ggf. neurologischer Status
Tipps
- Offene Sexualanamnese ohne Verurteilung!
- Bei jeglicher STI bzw. Verdacht: Zusätzlichen HIV-Test anbieten oder empfehlen (viele ambulante Angebote, oft anonym, kostenlos oder mit geringen Gebühren) z.B. →Online-Liste der Aidshilfe
- Beim Nachweis einer STI (insbesondere Syphilis) sollte zumindest eine Beratung zur Prävention weiterer STIs sowie ggf. Diagnostik bzgl. HIV besprochen werden. Zudem sollte auf ungeschützten GV verzichtet und die Partner:innen mitbehandelt werden (bzw. zeitnahe ambulante Mitbehandlung/Vorstellung empfehlen) - sonst Risiko von „Ping-Pong-Infektion“.
- Generell ist die Abklärung von sexuell übertragbaren Erkrankungen ein klassisch ambulantes Aufgabenfeld. Die Vorstellung in der Notaufnahme erfolgt teils nach vermuteter oder gesicherter STI-Diagnose bei Partner:in, nach ungeschütztem sexuellen Kontakt oder sexueller Gewalt sowie bei Verletzung / Nadelstichen oder anderen möglichen Expositionen.
Hier ausführlichere Beschreibung inkl. Diagnostik und Therapie zur besseren Einschätzung / Empfehlung. Umfang der Notaufnahme-Diagnostik an lokale Vorgaben orientieren. - Zeitkritisch - gerade auch für Notaufnahme: HIV-Postexpositionsprophylaxe!
Syphilis
Auch „Lues“ „Schanker“. Infektion mit Treponema pallidum (Bakterium), Verlauf in vier Stadien. V.a. Männer zwischen 30-39 Jahren, aktuell zunehmende Fallzahl in Deutschland. Syphilis = “der große Imitator” (vielfältige Symptomatik, v.a. im späteren Verlauf).
Meldepflichtig!
Einteilung und Symptomatik
- Primärsyphyllis (Lokalisierte Infektion, 2-3 Wochen nach Infektion)
- Knötchen an der Eintrittspforte (meist am Penis, selten auch oral, vaginal oder anal)
- dann schmerzloses Ulcus durum ("harter Schanker“ bzw. „Primäraffekt“)
- Ca. eine Woche danach Lymphknoten-Schwellung (Ulcus durum + LK-Schwellung = „Primärkomplex“)
- Sekundäre Syphilis (Disseminierte Infektion/ Bakteriämie, einige Wochen später, ggf. schubweise)
- Makulöses Exanthem am Stamm, nach einigen Wochen rückläufig
- dann Papeln mit Lichenifikation möglich
- typisch ist dann Befall der Handinnenflächen sowie Fußsohlen, generelle Lymphadenopathie
- Nachweis via Serologie, bei Bestätigung meldepflichtig
- Latente Syphilis:
- Immunologische Kontrolle der bakteriellen Replikation: A- bis oligosymptomatisch
- Tertiäre Syphilis (Granulomatöse entzündliche Reaktion, Monate bis Jahre):
- Befall verschiedenster Organe.
- Neurosyphilis: “eigene Entität", kann immer, auch bei der Primären Syphilis (und bestehender schweren Immunsuppression wie einer HIV Infektion) auftreten
- Meist ausgeprägte neurologische Symptomatik
Checkliste V.a. Syphilis
- Komplette körperliche Untersuchung
- inkl. Suche nach neurologischen Defiziten und Hauterscheinungen
- Diagnostik nach Verfügbarkeit (Suchtest, Antikörper etc.)
- Bei (nässendem) Ulcus: Abstrich-PCR (negativer serologischer Suchtest schließt Syphilis nicht aus!)
- Abstrich/ Diagnostik ev. auch nach weiteren STI und HSV (“PCR Panel”)
- Lumbalpunktion: frühzeitig bei HIV Patient:innen (<2000 CD4 Zellen/ul) oder bei neurologischen, psychiatrischen, ophtalmologischen, otologischen Symptomen
- Bei (nässendem) Ulcus: Abstrich-PCR (negativer serologischer Suchtest schließt Syphilis nicht aus!)
- Therapie
- In der Regel ambulant
- Ausnahme - stationär Behandlung: HIV-positive / immunsupprimierte Pat.
- Frühsyphillis (im ersten Jahr nach Ansteckung): Tardocillin R 2,4 Mio im. (gluteal, je 1,2 Mio. / Seite) einmalig
- Bei Penicillinallergie: Ceftriaxon 2g iv. /24h 10d oder Doxycyclin 100mg/12h po 14d
- In der Regel ambulant
Therapie und Verlaufskontrollen ab Sekundärstadium
- Ab Sekundärstadium: Tardocillin R 2,4 Mio im. (gluteal, je 1,2 Mio. / Seite) 3x im Abstand von 7d (auch bei unklarer Primärinfektion oder unklarem Stadium, hier Sicherstellung der weiteren 2 Gaben erforderlich ambulant oder Wiedereinbestellung)
- Prednisolon 25-50mg iv. oder 1mg/kg po. gleichzeitig zur Antibiotika-Erstgabe → Prophylaxe möglicher „Jarisch-Herxheimer-Reaktion“ (Fieber und Schüttelfrost ca. 2-6h nach Antibiotika-Gabe).
Bei Auftreten: Symptomatische Therapie. Es handelt sich nicht um eine Anaphylaxie! - Bei Penicillinallergie: Ceftriaxon 2g iv. /24h 14d oder Doxycyclin 100mg/12h po 28d
- Prednisolon 25-50mg iv. oder 1mg/kg po. gleichzeitig zur Antibiotika-Erstgabe → Prophylaxe möglicher „Jarisch-Herxheimer-Reaktion“ (Fieber und Schüttelfrost ca. 2-6h nach Antibiotika-Gabe).
- Neurosyphilis: Penicillin G 4Mio IE/4h iv. 14d
- Bei Penicillinallergie: Ceftriaxon 4g iv. initial, dann 2g iv. /24h 14d
Kontrolle:
Vierteljährige Titer Kontrollen nach 1, 3 , 6, 9 und 12 Monaten (HIV-Patient:innen sollten 24 Monate nachkontrolliert werden, da der Titer nur sehr langsam abfällt). Titer Kontrollen möglichst immer im gleichen Labor, Ausgangswert ist Titer nach 1 Monat.
Gonorrhoe
Auch „Tripper“. Infektion mit Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken). Meldepflichtig.
Punkte für Meldepflicht:
Im Meldebogen müssen dann folgende Dinge beantwortet werden (Anamnese dementsprechend erheben, falls Patient:in bereits entlassen wurde)
- Infektionszeitpunkt, klinische Symptomatik, Abstrich Region
- Therapie und Therapiedauer, Antibiotika Vorbehandlung
- Erstinfektion? STI-Koinfektionen
- Infektionsland (Reiseanamnese), Infektionsweg (MSM, Heterosexueller Kontakt, Sexarbeit)
- Partner:innenbenachrichtigung und Therapie
Symptomatik
- Männer: Meist binnen weniger Tage eitrige Urethritis („Bonjour Tropfen“)
- Frauen initial asymptomatisch / geringe Beschwerden mit Ausfluss, im Verlauf dann oft verschiedene urogenitale Infektion
- Selten auch auch Proktitis, Pharyngitis, ggf. Konjunktivitis
- Disseminierte Gonokokken-Infektion: pustulöse akrale, vaskulitis anmutende Veränderungen, Gelenkbeschwerden, Fieber
Checkliste V.a. Gonorrhoe
- Diagnostik
- Abstrich urethral/endozervikal (PCR zum Nachweis + Kultur wegen breiter Resistenzen)
- Kontrolle / Nachweis erfolgreicher Behandlung: PCR nach 4-6 Wochen ambulant
- Therapie
- Kalkulierte Therapie bei initial oft fehlendem Testergebnis; dann Therapie von Gonokokken und Chlamydien
- Gonokokken: Ceftriaxon 1-2 g iv. oder im. Einmalgabe (cave: im. schmerzhaft)
- falls im./iv.-Gabe nicht möglich / kontraindiziert: Cefixim 800mg po. Einmalgabe (falls pharyngealer Nachweis: immer iv. Therapie)
- Chlamydien: Doxycyclin 100mg/12h po. 7d
- Alternativ Azithromycin 1,5 g po Einmalgabe (Resistenzraten steigend, daher eher nur bei ↓Compliance - da Einmalgabe)
- V.a. disseminierte Infektion: Ceftriaxon 2g iv. /24h mind. 7d plus Azithromycin 1,5g po. Einmalgabe (bis Resistenztestung vorliegt, dann Anpassung)
- Andere schwere Infektionen (z.B. Meningitis, Arthritis): Ceftriaxon 2g iv. /12h mind. 10-14d (bei Meningitis 4 Wochen!) plus Azithromycin 1,5g po. Einmalgabe
- Partner:in mitbehandeln / dringend empfehlen
Chlamydien
Auch Chlamydiose. Infektion mit Chlamydia trachomatis (Bakterium). Hohe Anzahl an asymptomatischen pharyngealen, rektalen und auch urogenitalen Chlamydieninfektionen. Komplikationen: Reaktive Arthritis, Infertilität, Pelvic Inflammatory Disease.
Symptomatik:
- Urethritis, teils aufsteigend mit Zervixitis, Epididymitis, Proktitis, Pharyngitis, Konjunktivitis
- Lokal: Lymphgranuloma inguinale
- initiale (schmerzlose) Ulzerationen an Eintrittspforte (Penis, Vagina, Anus)
- dann ausgeprägte lokale Lymphknotenschwellung bis zu Abszedierung
Checkliste V.a. Chlamydiose
- Diagnostik
- ♂︎: Erststrahlurin 10 ml, 2h Miktionskarenz (Mann)
- ♀︎: PCR-Abstrich vaginal PCR, Urindiagnostik ist nicht ausreichend
- Kontrolle / Nachweis erfolgreicher Behandlung: PCR nach 8 Wochen ambulant
- Therapie
- Kalkulierte Therapie bei initial oft fehlendem Testergebnis; dann Therapie von Chlamydien und Gonokokken
- Chlamydien: Doxycyclin 100mg/12h po. 7d
- Alternativ Azithromycin 1,5 g po Einmalgabe (Resistenzraten steigend, daher eher nur bei ↓Compliance da Einmalgabe)
- Gonokokken: Ceftriaxon 1-2 g iv. oder im. Einmalgabe (cave: im. schmerzhaft)
- falls im./iv.-Gabe nicht möglich / kontraindiziert: Cefixim 800mg po. Einmalgabe (falls pharyngealer Nachweis: immer iv. Therapie)
- Partner:in mitbehandeln / dringend empfehlen
HIV
Chronische Infektion mit Human immunodeficiency virus (HI-Virus, Virus: RNA Virus Typ I und II ) - mit modernen antiretroviralen Medikamenten meist gut kontrollierbar. Problematischer Verlauf v.a. durch Immunsuppression und Superinfektionen.
Kontakt in der Notaufnahme insb. bei:
- V.a. Exposition/ Kontakt (siehe PEP unten)
- Erstdiagnose bei klinischem Verdacht (s.u.) durch Notaufnahme
- Bekannte HIV Infektion unter Therapie mit Komplikation (z.B. Infektion) oder Medikamentennebenwirkungen / Medikamentenincompliance
Klinischer Verdacht und Erstdiagnose in der Notaufnahme
Potentiell hinweisend auf mögliche HIV-Infektion (v.a. bei unbekanntem Status / Erstdiagnose) ist insb. Kombination von Klinik und Risikoanamnese:
Risikoanamnese:
- iv.-Drogenabusus (Deutschland: 4% Prävalenz)
- MSM (Männer, die Sex mit Männern haben, erhöhte Prävalenz im Vergleich zur Gesamtbevölkerung)
- Herkunft (insb. Subsahara-Afrika, Südöst-Asien, Karibik)
- frühere Blutkonserven-Transfusion
Klinik:
- Rezidivierende Infekte, insb. Pneumonien
- Herpes Zoster mit Befall >2 Dermatomen / generalisiert/ rezidivierend
- Diarrhö >1 Monat ohne alternative Erklärung bei MSM
- Chronisches Fieber ohne alternative Erklärung
- Unklarer Gewichtsverlust, Fatigue, Nachtschweiß
- STI und Hepatitis B / C Infektion
- Generelle Lymphadenopathie
- Autoimmunerkrankungen (Psoriasis...) CAVE: Hier HIV-Screening (ELISA Test) häufig falsch positiv, immer Western Blot
- Opportunistische Erkrankungen z.B. orale Candidose, Pneumozystis Pneumonie, Kaposi Sarkom, Zerebrale Toxoplasmose, Criptococcus sp Meningitis
- Maligne Erkrankung wie T-Zell-Lymphom, Zervix-CA, Anal-CA
Diagnostik bei V.a. Erstdiagnose:
Vor Test Zustimmung der/des Pat. einholen!
- Screening: HIV Antigen/Antikörper Kombinationstests
- Bestätigung: Immunoblot / NAAT Tests; Bestimmung der Viruslast / Anzahl der RNA-Viruskopien
Therapie:
Eine neue Therapieeinleitung bei V.a. / oder nachgewiesener HIV Infektion muss nicht notfallmäßig auf in ZNA (bzw. "im Nachtdienst") geklärt werden. Rücksprache so bald wie möglich mit Zentrum / Fachabteilung!
Bekannte HIV-Patient:innen und Komplikationen / Nebenwirkungen
Immer Rücksprache halten mit dem betreuender Infektiolog:in / betreuendem Zentrum (Besprechung der Antibiose, Reduktion/ Pausieren der antiviralen Therapie?).
- Bei bekannter HIV Infektion und Pneumonie sollte diese beispielsweise immer wie eine potentielle PCJ-Pneumonie behandelt werden.
Die neuen Therapieoptionen der antiviralen Therapie sind breit, inklusive einer tablettenfreien Therapie, der Möglichkeit einige Medikamente alle 8 Wochen sc. zu applizieren, es gibt sogar Substanzen, die eine Wirksamkeit von mehr als 6 Monaten haben. Daher Rücksprache mit den zuständigen Expert:innen wichtig!
Postexpositionsprophylaxe (PEP)
Oft emotional-belastende Situation. Beruhigen! Ziel: Risiko für Übertragung evaluieren. Je nach Situation D-ärztliche Aufnahme, Verlaufskontrolle ambulant / betriebsärztlicher Dienst.
Checkliste Postexpositionsprophylaxe
- Zeitpunkt des Kontakts? Welche Art von Kontakt? (Schleimhaut? Kanüle? Sexuell?)
- Indexperson sicher HIV-infiziert?
- Ja: Laufende antiretrovirale Therapie? Viruslast (HIV-RNA-Kopien/ml) in letzter Kontrolle?
- Nein: Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion abschätzen
- Sofortmaßnahmen nach Kontakt:
- Stich-/Schnittverletzung: Spontane Blutung nicht unterbinden, keine Manipulation an der Wunde (kein Quetschen oder Ausdrücken der Wunde). Nach spontaner Blutung ggf. Stichkanal/Schnittverletzung spreizen und spülen (Wasser/Seife/Antiseptikum - z.B. Händedesinfektionsmittel oder ethanolbasiertes Hautantiseptikum)
- Auge: Spülung mit (reichlich) Wasser (oder NaCl 0,9% / VEL)
- Mundhöhle: Ausspucken des Materials, mehrfaches Spülen mit Wasser (oder NaCl 0,9% / VEL)
- Geschädigte oder entzündete Haut: Wasser und Seife, dann vorsichtig mit Tupfer und Hautantiseptikum
- Berufliche Exposition: Nach Erstmaßnahmen rasche D-Ärztliche Vorstellung
- Diagnostik je nach möglicher Exposition / Kontakt
- Postexpositionsprophylaxe je nach Vorgaben (s. unten)
Diagnostik
- HIV-Diagnostik im klinischen Umfeld = automatisch auch Hepatis B + Hepatitis C testen
- Bei Nadelstichverletzung (oder ähnlicher Kontakt) übertragbar: HIV, HEP B, HEP C
- Bei sexuellem Kontakt übertragbar: HIV, HEP B, HEP C, Gonnorhoe, Chlamydien, Syphilis, HSV (Herpes Simplex)
- Für Syphilis, HSV, Hep C keine PEP verfügbar/empfohlen
Blutentnahme - wer und was:
- Patient:in (exponierte Person):
- Hepatitis B (Anti-HBs, Anti-HBc)
- Hepatitis C (Anti-HCV)
- Anti-HIV
- Tetanus-Status klären
- falls PEP erwogen: +Basis-Labor inkl. Blutbild, Leber-, Nierenwerte
- ungeschützter sexueller Kontakt: Ambulante Abklärung auf andere STIs in zwei bis vier Wochen empfehlen (z.B. Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien)
- Indexperson (falls verfügbar)
- Hepatitis B (HBs-AG, ggf. HBV-DNA)
- Hepatitis C (Anti-HCV)
- Anti-HIV (wenn positiv/bekannt positiv: PCR, Viruslast = RNA-Kopien/ml)
- ggf. Syphilis-Serologie (bei sexuellem Kontakt)
HIV-PEP
PEP bei HIV muss für optimale Wirksamkeit frühestmöglich verabreicht werden (optimal <2h nach Kontakt).
Hintergrund
HIV-Übertragungsrisiko ist stark abhängig von Anzahl der übertragenen Erreger - Unterschied je nach Viruskonzentration, Expositionsdauer & -art, Körperflüssigkeit.
Bei Kontakt mit Körperflüssigkeit einer Indexperson unter erfolgreicher antiretroviraler Therapie (regelhafte Einnahme der Medikation, Viruslast in letzter Kontrolle unter 50 Kopien/ml) besteht auch bei Geschlechtsverkehr oder Verletzungen kein realistisches Risiko einer Infektion (Ausnahme: Injektion / Infusion größerer Mengen infizierten Bluts).
PEP senkt das Risiko für Infektion nach Kontakt deutlich - je schneller der PEP-Beginn, desto besser. Optimal innerhalb von 2(-24h), maximal 72h nach Kontakt (spätere PEP nur nach Expert:innenempfehlung).
Immer individuelles Risiko erheben! ggf. Rücksprache mit einem Zentrum/ Ambulanz halten.
Bei unklarem Infektionsstatus der Indexperson individuelles Risiko erheben:
- Besteht i.v.-Drogenabusus
- Zeichen einer opportunistischen Infektion (AIDS) oder
- andere Hochrisiko-Konstellation?
Bei erhöhtem Risiko kann dann potentiell auch noch vor Einlangen eines Testergebnisses der Indexperson eine PEP begonnen (und ggf. später wieder beendet) werden. CAVE: Für die Durchführung eines HIV-Tests ist (auch bei der Indexperson!) eine Einverständnis (dokumentiert) notwendig.
Berufliche Exposition mit HIV
Berufliche Exposition mit HIV - Postexpositionsprophylaxe
Expositionsereignis Kontakt mit… | HIV positiv oder vermutete / mögliche HIV-Infektion | HIV positiv |
---|---|---|
Blutende Verletzung | PEP empfehlen | PEP anbieten |
Oberflächliche Verletzung oder Kontakt verletzte/geschädigte Haut | PEP anbieten | PEP nicht indiziert |
Kontakt intakte Haut oder Kontakt Schleimhaut oder | PEP nicht indiziert | PEP nicht indiziert |
Kopien/ml = HIV-RNA-Kopien/ml
Sexuelle Exposition mit HIV
Unterscheidung der Szenarien:
- Kontakt mit gesichert HIV-infizierter Indexperson
- Kontakt mit unbekannter / nicht sicher infizierter Indexperson
Definition "ungeschützter Verkehr": Kein Kondom, keine PrEP
Sexuelle Exposition mit HIV - Postexpositionsprophylaxe
Partner:in mit bekannter HIV-Infektion
Expositionsereignis Kontakt mit... | >1000 Kopien/ml | 50-1000 Kopien/ml | <50 Kopien/ml (wirksam behandelt) |
---|---|---|---|
Ungeschützter sexueller Verkehr | PEP empfehlen | PEP anbieten | PEP nicht indiziert |
Ungeschützter Analverkehr | PEP empfehlen | PEP anbieten | PEP nicht indiziert |
Sexuelle Gewalt / Vergewaltigung | PEP empfehlen | PEP anbieten | PEP nicht indiziert |
Oralverkehr (auch bei Sperma-Aufnahme eines HIV-infizierten Partners in den Mund) Küssen | PEP nicht indiziert | PEP nicht indiziert | PEP nicht indiziert |
Kopien/ml = HIV-RNA-Kopien/ml
Sexuelle Exposition (HIV unbekannt) - Postexpositionsprophylaxe
Expositionsereignis Kontakt mit... | Partner:in unbekannt | Partner:in bisexuell |
---|---|---|
Ungeschützter sexueller Verkehr | PEP nicht indiziert | PEP anbieten |
Ungeschützter Analverkehr | PEP anbieten | PEP anbieten |
Sexuelle Gewalt / Vergewaltigung | PEP anbieten | PEP anbieten |
Oralverkehr Küssen | PEP nicht indiziert | PEP nicht indiziert |
"Hochprävalenz-Region": Vor allem Subsahara-Afrika, Karibik, Südost-Asien
Sonderfälle bei HIV-PEP
- Tiefe, blutende Bissverletzung (durch Indexperson)
Indexperson ist nicht oder nicht ausreichend antiretroviral behandelt und hat zum Zeitpunkt des Bisses selbst blutende Wunden im Mund (z.B. nach Zungenbiss bei epileptischem Anfall) → PEP empfehlen - Serielle blutende Verletzungen durch gleiches „Instrument“
(z.B. gemeinsame Nutzung eines Messers, mehrere Opfer einer Messerstichattacke) + HIV-Status der Indexperson(en) unbekannt und nicht rasch ermittelbar → PEP anbieten (kann ggf. auch rasch nach Klärung des HIV-Status rasch beendet werden) - Gemeinsame Nutzung von Injektionsbesteck
(z.B. selbe Kanüle, aus gleichem Behältnis aufgezogen, Verwechslungsgefahr z.B. bei „Chemsex“)- Mehrere Drogengebrauchende, HIV-kontaminiertes Besteck → PEP empfehlen
- Mehrere Drogengebrauchende, HIV-Status unklar → PEP anbieten
- Verletzung an altem, weggeworfenen Spritzbesteck
(z.B. spielende Kinder, die sich an Kanülen im Sandkasten verletzen) → PEP nicht indiziert- Jedoch Hepatitis-B, Hepatitis-C und Tetatus bedenken!
Therapie/PEP HIV
In der Notaufnahme je nach Situation (falls PEP indiziert oder angeboten + angenommen):
- Frühzeitiger Beginn nach Aufklärung (s.unten)
- Beginn nicht durch Blutentnahme (und Abwarten von Ergebnissen) verzögern
- Ausreichend Medikamente bis zum nächsten Werktag mitgeben
- Am nächsten Werktag Vorstellung in HIV-Schwerpunktpraxis (→DAGNÄ) oder HIV-Ambulanz
Therapie-Varianten
- Variante 1:
- Tenofovir/Emtricitabin (z.B. Truvada®) 200/245mg 1 Tbl./24h po. plus
- Raltegravir (z.B. Isentress®) 400mg 1 Tbl./12h po. oder 600mg 2 Tbl./24h po.
- Variante 2:
- Tenofovir/Emtricitabin (z.B. Truvada®) 200/245mg 1 Tbl./24h po. plus
- Dolutegravir (z.B. Tivicay®) 50mg 1 Tbl./24h po.
- Variante 3:
- Bictegravir/Emtricitabin/Tenofovir-Alafenamid (z.B. Biktarcy®) 50/200/25mg 1 Tbl./24h po.
- bei Niereninsuffizienz bevorzugt, bis GFR <15ml/min möglich
Kontakt zu Expert:innen (Infektiologie, HIV-Ambulanz etc.) zur individuellen Anpassung der PEP insb. bei:
- Exposition >24h
- Patient:in ist schwanger
- Kinder/Jugendliche <35kg
- Indexperson in langer antiretroviraler Therapie, potentielle Multiresistenz
- Nieren- oder Leberinsuffizienz
- Komplexe Fragen, deren Antworten nicht in Leitlinie erläutert sind
Aufklärung: Vor Verabreichung PEP klären / Pat. informieren:
- Laborentnahme inkl. Blutbild, Leber- und Nierenparameter, Hepatitis-/HIV-Serologie
- Schwangerschaftstest bei Frauen
- Dauer der PEP-Einnahme beträgt 4 Wochen, frühzeitiger Beginn und dann pünktliche Einnahme sind wichtig
- Aufklärung über Nebenwirkungen durchführen (und dokumentieren), u.a. Leber- und Nierenschädigung, gastrointestinale Nebenwirkungen (Übelkeit, Diarrhö etc.), allgemeines Unwohlsein, psychische Beschwerden
- Prüfung von Interaktionen mit Co-Medikation (z.B. https://www.hiv-druginteractions.org/)
- Ausführliche Beratung und weitere Verschreibung der Therapie durch HIV-Schwerpunktpraxen/-ambulanzen
Hepatitis B - PEP
PEP-Indikation prüfen bei Kontakt mit potentiell infizierter Indexperson:
- Kontakt von Schleimhaut oder verletzter geschädigter Haut mit Blut
- Nadelstichverletzung
Abnahme Hepatitis-Serologie bei Indexperson + Patient:in
- Üblicherweise HBsAg, Anti-HBs, Anti-HBc
- HBsAG: Nachweis von Virus
- Anti-HBs: Antikörper, nach Heilung oder Impfung nachweisbar
- Anti-HBc: Antikörper bei akuter / Z.n. Infektion
Hepatitis B Serologie
HBsAG | Anti-HBs | Anti-HBc | |
---|---|---|---|
Impfung | - | + | - |
Z.n. Hepatitis B | - | + | + |
Chronische Hep-B | + | +/- | - |
Akute Hep-B | + | - | + |
Nicht geimpft, | - | - | - |
Bei Indexpat. HBsAG (binnen 48h bestimmbar) negativ → Keine Immunisierung nötig
Falls Status Indexpat. unklar: Weiteres Vorgehen nach Impfstatus Patient:in + ggf. Anti-HBs-Titer:
Hepatitis B Postexpositionsprophylaxe - Indikation
Status | Titer | Hepatitis-B |
---|---|---|
Immunisierung <10J | - | Keine nötig |
Immunisierung <10J → aktuellen Titer bestimmen | >100 mIE/ml | Keine nötig |
10-100 mIE/ml | Aktiv | |
<10 mIE/ml | Aktiv + passiv | |
Immunisierung <10J | Jemals >100 mIE/ml | Aktiv |
Nie >100 mIE/ml | Aktiv + passiv | |
Unvollständige Immunisierung oder → aktuellen Titer bestimmen | >100 mIE/ml | Keine nötig |
10-100 mIE/ml | Aktiv | |
<10 mIE/ml | Aktiv + passiv | |
Ungeimpft / bekannt Nonresponder:in | - | Aktiv + passiv |
Aktive Immunisierung → „Normaler" Hepatitis-B Impfstoff (Monoimpfstoff; häufig nur als Doppel-/Mehrfachimpfstoff (zB. Twinrix® HepA/B) verfügbar - je nach Verfügbarkeit auch Applikation von Doppel-/Mehrfachimpfstoff akzeptabel).
Passive Immunisierung → Hepatitis-B-Immunglobulin
Gonorrhö + Chlamydiose
Nicht exakt leitlinienkonform, jedoch pragmatisch zur „Postexpositionsprophylaxe“ von Gonorrhö + Chlamydiose ist Einmalgabe von jeweils Azithromycin 1,5g po. plus Cefixim 800mg po. (immer Einzelfallentscheidung)
Menigokokken
Bei engem Kontakt mit Patient:in bei Meningokokkenmeningitis, auch für Angehörige und Rettungsdienst potenziell relevant. Details siehe Meningitis.
Weiterführende Literatur und Links
Interessante Links (frei zugänglich)
- STI-Therapie - Kitteltaschen-Leitfaden (DSTIG 2023/2024)
- Leitlinie PEP nach HIV-Exposition (AWMF 2022)
- Leitlinie Syphilis (AWMF 2020)
- Leitlinie Gonorrhoe (AWMF 2018)
- Leitlinie Sexuell übertragbare Infektionen (AWMF 2018)
- Leitlinie Chlamydia trachomatis (AWMF 2016)
- Hepatitis B Prophylaxe nach Blutkontakt (RKI 2000)
- Aidshilfe - Infomappe für Beratung (Deutsche Aidshilfe)
Literatur
- DAIG. Deutsch-Österreichische Leitlinie zur medikamentösen Postexpositionsprophylaxe (PEP) nach HIV-Exposition (S2k). AWMF (2022).
- Schöfer, H. et al. Diagnostik und Therapie der Syphilis. Hautarzt 71, 969–999 (2020).
- Fandler, M. & Böhm, L. Postexpositionsprophylaxe nach HIV-Exposition. Notaufnahme up2date 2, 315–319 (2020).
- DSTIG. S2k-Leitlinie Sexuell übertragbare Infektionen (STI) – Beratung, Diagnostik und Therapie. AWMF (2018).
- RKI. Empfohlene Maßnahmen zur Hepatitis-B-Prophylaxe nach einer Kanülenstichverletzung oder anderen Blutkontakten. Epidemiologisches Bulletin (2000).